Menschenjagd
langer Zeit ist das schon so.«
»In Boston haben sie 2020 damit aufgehört«, flüsterte Bradley. »Sie haben zu viel Schiss. Du hast keinen Nasenfilter, oder?«
»Sei nicht blöd«, sagte Richards gereizt. »Diese gottverdammten Dinger kosten über zweihundert Mäuse, sogar in den Billigläden. Ich habe im ganzen letzten Jahr keine zweihundert Dollar gesehen. Du vielleicht?«
»Nein«, sagte Bradley leise. Er schwieg einen Augenblick. »Stacey hat einen. Ich habe ihn selbst gemacht. Auch Ma und Rich Goleon und noch ein paar andere haben welche.«
»Du willst mich verscheißern.«
»Nein, Mann.« Er verstummte. Richards war sich plötzlich sicher, dass Bradley das, was er bereits gesagt hatte, gegen das abwog, was er noch alles sagen könnte. Er fragte sich wahrscheinlich, wie viel zu viel wäre. Als er weitersprach, schien es ihm schwerzufallen. »Wir haben gelesen. Die Free-Vee-Scheiße ist nur für Hohlköpfe. Die Gang, weißt du? Ein paar von den Typen sind einfach nur Rumtreiber. Nur daran interessiert, jeden Samstagabend ein paar Weiße einzustampfen. Aber ein paar von uns gehen regelmäßig in die Bibliothek. Seit wir zwölf sind oder so.«
»Lassen sie euch denn in Boston ohne Benutzerkarte rein?«
»Nein. Du kriegst keine Karte, wenn du nicht jemanden mit einem bestätigten Jahreseinkommen von mindestens fünftausend Dollar in der Familie hast. Wir haben uns so ein dickärschiges Kind geschnappt und seine Karte geklaut. Wir wechseln uns ab. Wir haben einen Anzug in der Gang, den jeweils der trägt, der reingeht.« Bradley schwieg eine Weile. »Wenn du mich jetzt auslachst, stech ich dich ab.«
»Ich lache nicht.«
»Anfangs haben wir nur Sexbücher gelesen. Dann, als Cassie krank wurde, habe ich mich in dieses Zeug über Umweltverschmutzung eingelesen. Die ganzen Bücher über Umweltverschmutzung, Smogmessungen, Industrieabgase und Nasenfilter stehen in einer abgeschlossenen Abteilung. Wir haben uns mit einem Wachsabdruck einen Schlüssel nachmachen lassen. Mann, hast du gewusst, dass in Tokio schon 2012 jeder so einen Nasenfilter tragen musste?«
»Nein.«
»Rich und Dink Moran haben ein Messgerät gebaut. Dink hat das Bild aus einem Buch abgezeichnet. Sie haben es aus Kaffeedosen und irgendwelchem Zeug, das sie aus Autos geklaut haben, zusammengebastelt. Es steht draußen in einer Gasse versteckt. Damals, 1978, hatten sie eine Messskala, die von eins bis zwanzig reichte, verstehst du?«
»Ja.«
»Wenn die Skala zwölf erreicht hatte, mussten alle Fabriken schließen, und alles, was die Luft verpestete, Autos und so weiter, mussten aus, bis das Wetter sich änderte. Das war Bundesgesetz bis 1987, als es vom Neuen Kongress abgeschafft wurde.« Der Schatten im Bett richtete sich auf seinen Ellenbogen auf. »Ich wette, du kennst eine Menge Leute mit Asthma, richtig?«
»Klar«, sagte Richards vorsichtig. »Ich habe es selbst ein bisschen. Das kommt von der Luft. Heutzutage weiß doch jeder, dass man an heißen, bewölkten Tagen, wenn die Luft sich nicht bewegt, im Haus bleiben muss …«
»Temperaturinversion«, murmelte Bradley grimmig.
»… und da ist es ganz klar, dass viele Leute Atembeschwerden haben. Im August und September ist die Luft wie Sirup. Aber Lungenkrebs …«
»Du redest hier nicht von Asthma«, sagte Bradley. »Du redest von Emphysemen.«
»Emphyseme?« Richards ließ sich das Wort durch den Kopf gehen. Er wusste nicht, was es bedeutet, aber es kam ihm irgendwie bekannt vor.
»Dein gesamtes Lungengewebe schwillt an«, sagte Bradley. »Du keuchst und keuchst und keuchst und kriegst doch keine Luft. Sicher kennst du eine Menge Leute, die das haben?«
Richards dachte nach. Es stimmte. Er kannte eine Menge Leute, die so gestorben waren.
»Darüber wird nicht gesprochen«, sagte Bradley, als hätte er Richards’ Gedanken gelesen. »Die Luftverschmutzungsrate in Boston erreicht heute an guten Tagen zwanzig Punkte auf der Skala. Das entspricht vier Packungen Zigaretten, die du dir allein schon durchs Atmen in die Lunge ziehst. An schlechten Tagen geht die Skala rauf bis zweiundvierzig. In der ganzen Stadt fallen alte Leute auf der Straße tot um. Auf ihrem Totenschein steht dann Asthma. Aber es ist die Luft, die Luft und noch mal die Luft. Und trotzdem feuern sie die Scheiße zum Kamin hinaus, so schnell sie können. Die riesigen Schornsteine rauchen vierundzwanzig Stunden am Tag. Den großen Bossen gefällt das eben so.
Diese Zweihundert-Dollar-Filter taugen nichts. Das
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