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Menschenjagd

Menschenjagd

Titel: Menschenjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ausgetretenen Steinstufen hinauf und betrachtete die Haustür. Früher musste sie einmal blau gestrichen gewesen sein, aber jetzt war die Farbe abgeblättert und verblichen, sodass nur die müde Färbung eines Wüstenhimmels übrig geblieben war. Es hatte mal eine Türklingel gegeben, aber irgendein Vandale hatte dieses Problem mit einem Meißel gelöst.
    Richards klopfte und wartete. Nichts. Er klopfte noch mal.
    Es war schon spät am Nachmittag, und die Kälte kroch langsam über die Straße. Weit hinten im Park hörte er das leise Rascheln der herbstlichen Zweige, die ihre Blätter verloren.
    Niemand war zu Hause. Es war Zeit zu gehen.
    Trotzdem klopfte er noch einmal, seltsamerweise überzeugt davon, dass jemand da drin war.
    Und diesmal wurde er mit dem schlurfenden Geräusch von Hausschuhen belohnt. Ein kurzer Augenblick Stille hinter der Tür. Und dann: »Wer ist da? Ich kaufe nichts. Verschwinden Sie.«
    »Man hat mir gesagt, dass ich Sie besuchen soll«, sagte Richards.
    Ein Guckloch öffnete sich quietschend, und ein braunes Auge spähte hindurch. Das Guckloch schnappte wieder zu.
    »Ich kenne Sie nicht.« Schnörkellos abgefertigt.
    »Ich soll nach Elton Parrakis fragen.«
    Widerwillig: »Ach so, Sie sind einer von denen…«
    Hinter der Tür wurden Schlösser aufgeschlossen und Riegel, einer nach dem anderen, zurückgeschoben. Eine Kette rasselte. Er hörte das Klicken eines Sicherheitsschlosses, dann noch eins. Eine schwere Querstange – rumms-tchack - wurde zurückgezogen.
    Die Tür öffnete sich, und Richards sah eine magere Frau ohne Brüste und mit riesigen, knotigen Händen. Ihr Gesicht war faltenlos, beinahe engelsgleich, aber es sah aus, als hätte es Hunderte von unsichtbaren Haken und Geraden und Uppercuts in einem kompromisslosen Kampf mit der Zeit einstecken müssen. Vielleicht gewann die Zeit, aber diese Frau konnte viel einstecken. Sie war gut einen Meter achtzig groß, sogar in ihren flachen, ausgetretenen Hausschuhen, und ihre Knie waren durch die Arthritis zu Baumstümpfen angeschwollen. Das Haar hatte sie unter einen Handtuchturban gesteckt. Ihre braunen Augen saßen tief unter buschigen Brauen (die Augenbrauen selbst klammerten sich wie zerzauste Gebirgssträucher verzweifelt, als kämpften sie mit der Trockenheit und Höhe, an ihrer Stirn fest), sie wirkten intelligent und gehetzt. Vielleicht waren sie erfüllt von Zorn oder Angst. Später begriff er, dass sie einfach nur verängstigt und verwirrt war und am Rande des Wahnsinns entlangtorkelte.
    »Ich bin Virginia Parrakis«, sagte sie tonlos. »Eltons Mutter. Kommen Sie rein.«

… Minus 051 Countdown läuft …
     
    Als sie in der Küche stand, um einen Tee zu machen, hatte sie ihn noch nicht erkannt.
    Das Haus war alt und baufällig und düster, den Einrichtungsstil kannte Richards aus seiner eigenen Wohnung: Moderner Ramsch.
    »Elton ist nicht da«, sagte sie, während sie über dem zerbeulten Aluminiumtopf auf dem Gasherd grübelte. Das Licht war hier besser, offenbarte die braunen Wasserflecken auf der Tapete, die toten Fliegen – Souvenirs vom vergangenen Sommer – auf der Fensterbank, den alten, von schwarzen Rissen durchzogenen Linoleumbelag, den Stapel feuchten Packpapiers unter dem undichten Abflussrohr. Es herrschte ein Geruch nach Desinfektionsmitteln, der Richards an letzte Nächte in Krankenzimmern erinnerte.
    Sie durchquerte die Küche und wühlte mit ihren geschwollenen Fingern in dem Gerümpel auf der Ablage, bis sie zwei Teebeutel fand, von denen einer schon benutzt worden war. Richards bekam den benutzten. Er war nicht überrascht.
    »Er arbeitet«, sagte sie und betonte das erste Wort leicht, sodass der Satz wie ein Vorwurf klang. »Sie kommen von diesem Kerl in Boston, nicht wahr? Der, dem Elton immer diese Briefe über die Luftverschmutzung schreibt.«
    »Ja, Mrs. Parrakis.«
    »Sie haben sich in Boston kennen gelernt. Mein Elton füllt nämlich Verkaufsautomaten auf.« Sie warf sich kurz in die Brust und trat langsam den Weg zurück, über die Dünen des Linoleums zum Herd an. »Ich hab Eltie gesagt, dass das, was dieser Bradley macht, gegen das Gesetz ist. Ich hab ihm gesagt, dass er dafür ins Gefängnis kommt oder Schlimmeres. Aber auf mich hört er ja nicht. Er hört nicht auf seine alte Mutter.« Ihr Lächeln angesichts dieser Verunglimpfung war von dunkler Süße. »Elton hat schon immer Dinge gebastelt, wissen Sie … Als er noch ein kleiner Junge war, hat er mal ein Baumhaus mit vier Zimmern gebaut.

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