Menschenkinder
gedeihen körperlich weniger gut. Auch beim Schlafen hat es sich bewährt, sich immer auch nach den Signalen des Kindes zu richten – genau wie wir Erwachsenen schlafen Kinder am besten, wenn sie selbst dazu bereit sind, und nicht, wenn der Zeigerstand der Uhr es will. (Diese Rücksicht auf die körperlichen Rhythmen spricht natürlich keinesfalls gegen Regelmäßigkeit in sozialen Abläufen, gerade Rituale werden von Kindern ja innig geliebt.)
Die Mär vom gesunden Gemüse
Grünzeug ist gesund. Also müssten die Kleinen ihr Gemüse doch mögen – gerade aus dem Blickwinkel der Evolution. Aber das Gegenteil ist der Fall. Nun gut, als Säuglinge sind die Kleinen noch wenig wählerisch und lassen sich alle möglichen Gemüsesorten füttern (sogar zerdrückte Oliven). Ab dem Kleinkindalter aber wird das anders, da bleibt der Mund immer fester zu, wenn das Löffelchen kommt. Mit welcher Hartnäckigkeit die Kleinen dabei vorgehen, berichten die Opfer der »Generation Spinat«: wie sie stundenlang vor dem grünen Brei saßen; wie sie daraus einen harten Klumpen kauten, den sie in der Wangentasche versteckten und anschließend ausspuckten, oder wie sie schlimme Strafen – bis hin zur (in alter Zeit) ultimativen Folterstrafe für Kinder, dem Hausarrest – in Kauf nahmen, nur um das Grünzeug nicht schlucken zu müssen.
Dahinter steht nicht oppositionelles Verhalten, sondern ein evolutionäres Programm. Denn im Kleinkindalter entwachsen die Kinder unter ursprünglichen Bedingungen ja der sehr engen Bindung zu ihren pflegenden Erwachsenen und erforschen auf eigenen Füßen die Umwelt. Da tut eines Not: Schutz vor der eigenen Unvernunft! Ein Schutzprogramm also, das das Kleinkind sicher von unbekannten Nahrungsquellen fernhält. Gar zu leicht hätten sie sonst statt einer Heidelbeere auch mal eine Tollkirsche abgegriffen. Deshalb essen kleine Kinder nur, was sie kennen. Deshalb ist ihre Devise zunächst einmal: Keine Experimente!
Dabei scheint den Kleinen ganz besonders eine Warnung einprogrammiert zu sein: das Meiden aller grünen, bitteren Nahrungsquellen. Denn giftige Pflanzen sind zu einem großen Teil auch bitter – Bitterstoffe selbst in kleinsten Mengen abzulehnen war also ein Gebot des Überlebens. Ein sinnvolles Gebot zumindest für die Zeit, in der die entgiftenden Organe noch unreif sind und das Kind noch nicht durch Lernen klug geworden ist. Erst wenn das Kind durch Vorbilder nach und nach erlernt hat, sichere
Nahrungsmittel zuverlässig zu erkennen, darf sich der Geschmackshorizont der Kleinen wieder öffnen.
Und das tut er in der Tat. Auch heute beginnen die kleinen Kostverächter im späten Schulalter dann doch ihr Gemüse, stärkere Käsesorten und andere, zuvor »undenkbare« Nahrungsmittel zu probieren!
Problemzone Pubertät
Was ist aus dieser Perspektive mit der Pubertät? Können wir auch diese schwere Krise besser verstehen, wenn wir die Herkunft unserer Kinder kennen?
Absolut. Und das ist dringend nötig. Denn was Jugendliche sich so anhören müssen, kann gut und gerne als eine Art Verunglimpfung der Heranwachsenden bezeichnet werden. Pubertät, da ist der Boulevard sich einig, das ist die Problemzone der Kindheit. Da wollen die Halbwüchsigen die Macht an sich reißen, da gehen von Hormonen entfesselte Kinder auf ihre Eltern los. Nett, wenn Kinder klein sind – schlimm, wenn sie erwachsen werden!
Dabei scheint jetzt auch noch die Hirnforschung zu bestätigen, was wir schon immer befürchtet haben: Das jugendliche Gehirn habe wichtige Hirnteile noch gar nicht ausgebildet! Es sei im Grunde noch eine Baustelle! Ja, was kann man von Jugendlichen da schon erwarten?
Aus Sicht der Evolution sehr viel. Denn wenn die Pubertät wirklich eine »spezielle Form des Wahnsinns« wäre – wie haben diese Wahnsinnigen es dann geschafft, unsere Vorfahren zu werden? Wie haben sie mit diesen vielen Mängeln (die wir ihnen inzwischen sogar mittels Kernspin attestieren) die Kurve ins Erwachsenenleben gekriegt?
Ganz einfach: weil es keine Mängel sind, sondern sinnvolle Spezialisierungen. Jugendliche haben etwas, was den menschlichen Gruppen schon immer gut getan hat. Ein ungeheures Innovationspotenzial etwa. Niemand kann neue Techniken schneller »bändigen« als Jugendliche. Niemand ist kreativer. Und niemand ist risikobereiter. Evolutionsbiologen sind sich deshalb einig: Es müssen Jugendliche gewesen sein, die das Feuer gezähmt haben!
Auch in einer anderen Domäne bringen Jugendliche Spitzenleistungen,
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