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Menschenkinder

Menschenkinder

Titel: Menschenkinder
Autoren: Herbert Renz-Polster
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sogar beim Stillen) gegenseitig aus und gehen auch ohne ihr Baby zum Sammeln. Bei den Kung in der Kalahari dagegen nehmen die Mütter ihre Babys mit sich, wo immer
sie hingehen – in der dortigen Halbwüste die einzig sichere Lösung. Also: Fremdbetreuung ist nicht etwa »gegen die menschliche Natur«, sie ist eine natürliche, in unterschiedlichem Ausmaß genutzte Option. Eine Option, die sich auch im Bindungssystem der Babys widerspiegelt – rund um den Globus entwickeln Babys ihr Urvertrauen, egal ob sie ausschließlich von einer oder von mehreren Betreuungspersonen versorgt werden.
    Viel interessanter ist aus evolutionärer Sicht eine andere Frage, die in dem ideologischen Hin und Her fast vergessen wurde – nämlich die nach der Qualität der Betreuung. Felix Berth hat den Finger mit einem mutigen Artikel in der Süddeutschen Zeitung in die Wunde gelegt und die Frage aufgeworfen, ob nicht manche Krippen in diesem Land den Straftatbestand der Kindeswohlgefährdung erfüllen. Eindeutig, wir müssen ran an diese Problematik, auch wenn die Politik es lieber bei den Glanzmeldungen vom Ausbau der Krippenfront belassen würde. Hauptsache Krippen!
    Denn wie sah »Fremd«betreuung im ursprünglichen Lebenskontext der Menschen schließlich aus? Das war immer eine Betreuung durch vertraute, in das soziale System der Eltern eingebundene Menschen. Das ergab sich ja schon aus der kleinen Gruppengröße von Jäger – und Sammlergemeinschaften. Man kannte sich, man war in ein gemeinsames Netz eingebunden. Die »Fremd«betreuung fand in einem – räumlich und personell – vertrauten Umfeld statt.
    Deshalb ist die Krippendiskussion aus evolutionärer Sicht eine Scheindiskussion. Beide Modelle, die da heute gegeneinander antreten, entsprechen nicht dem evolutionären Muster. Weder gab es im evolutionären Kontext eine Betreuung durch wirklich »fremde« Personen in einem fremden Umfeld – noch gab es die Betreuung durch eine Mutter, die sich nur um ihr Kind gekümmert hätte. Die »arbeitende« Mutter und die ihr Kind betreuende Mutter – das waren in der menschlichen Stammesgeschichte ein und dieselbe Person.
    In der Praxis liegen Herd und Arbeitsplatz ja meist auch viel näher beieinander, als es in dem Pulverdampf des Gefechts den
Anschein hat: Die Mutter, die ihr Kind in eine Krippe gibt, betreut ihr Kind ja auch weiterhin zum größten Teil – nur eben nicht während der Arbeitszeit. Sie gibt ihr Kind in eine Krippe , nicht in ein Waisenhaus! Und die Mutter, die zu Hause ihr Kind betreut, arbeitet in aller Regel auch – nur eben ohne dafür bezahlt zu werden. Ja, manche »Hausfrau« verbringt mehr Zeit mit der Pflege einer Oma als eine andere Frau am Arbeitsplatz. Lassen wir die Kirche doch im Dorf!
    Die gute Krippe
    Was heißt aber dann »kompetente Kinderbetreuung« heute, wo wir nicht mehr in untereinander eng verwandten Stämmen, Clans und Großfamilien leben und für die Betreuung der Kinder meist ja tatsächlich fremde Hilfe in Anspruch nehmen müssen? Wie muss Fremdbetreuung aussehen, damit sie dem kleinen Menschen das bietet, was er für seine Entwicklung braucht?
    ERSTENS. Wir brauchen nicht irgendwelche Krippen, sondern Krippen, die auf die Bedürfnisse eines kleinen Homo sapiens zugeschnitten sind. Kleine Kinder brauchen möglichst vertraute, verlässliche und stabile Verhältnisse. So wie eine Mutter mit Drillingen alleine scheitern muss , so muss auch Krippenbetreuung mit den heute üblichen Stellenschlüsseln scheitern. (Der Personalschlüssel in Kindertageseinrichtungen mit Kindern von Null bis Drei liegt in Deutschland übrigens im Schnitt bei fünf, in Brandenburg sogar bei sieben – es scheint dort wirklich an der Zeit, die Legehennenverordnung auf Kinder zu übertragen.) Ein großes Problem ist zudem die Fluktuation des Personals. Ja, kleine Kinder können neue Bindungen eingehen, aber das braucht Zeit – Bindung passiert nicht nach dem Neubesetzungsplan.
    ZWEITENS. Fremdbetreuung führte das kleine Kind im evolutionären Modell nicht in eine fremde Welt – vielmehr kümmerten sich vertraute Personen an einem vertrauten Ort um das Kind. Das
lässt sich auch heute schaffen – allerdings nur mit einer langen Eingewöhnungsphase, während der die neuen Bezüge wachsen können!
    DRITTENS. Im Gegensatz zu den Annahmen mancher Bildungspolitiker brauchen Krippen kein Personal, das auf der Universität gelernt hat, die Entwicklungsstadien nach Brazelton herunterzubeten, sondern sie brauchen erfahrene,
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