Menschenkinder
kompetente, liebevolle und möglichst verlässlich verfügbare Betreuungspersonen. Menschen mit dieser Qualifikation sind selten geworden. Bisher galt die Devise: Für Babys sorgen, das kann jeder, das muss deshalb auch nicht wirklich bezahlt werden. Das kann nicht angehen. Um noch einmal ein paar Jahresboni zu verteilen: Vom Jahresbonus von zehn Spitzenbankern könnten 15.000 Betreuerinnen einen jährlichen Bonus von 10.000 Euro erhalten – vielleicht ein weiterer Grund, Boni etwas sozialverträglicher zu besteuern?
VIERTENS. Das evolutionäre Betreuungsarrangement sieht vor, dass Mütter ihr Kind bei der Arbeit möglichst weitgehend und flexibel bei sich haben können. Das ist das Ur-Modell der Babybetreuung. Und was spricht eigentlich dagegen, genau das auch heute zu fordern? Wo sind denn die Halbtagsstellen, die flexiblen Arbeitszeiten für Mütter? Wo sind denn die Arbeitsplätze, an denen eine Mutter ihr Baby bei sich haben kann – und sei es nur eine Zeit lang? Wo die Krippe im Betrieb, in der man zum Stillen mal vorbeischauen kann? Wo steht eigentlich geschrieben, dass eine Firma ein kinderfreier Bezirk sein muss? Wenn die Erhöhung des Renteneintrittsalters ein Anlass für Streiks war – warum nicht für das Recht auf elterliche Kinderbetreuung am Arbeitsplatz einmal die Sozialpartnerschaft wackeln lassen? Sozialpartnerschaft schließt doch die Kinder mit ein! (Und so originell wie die Sit-Ins der 68er wären Baby-Bring-Ins allemal ...)
FÜNFTENS. Die Mutter entscheidet, nicht die Politik, die Kirche oder irgendwelche Krippen-Skeptiker (die ja meist Männer sind, denen ihr Beruf über alles geht – von Theodor Hellbrügge bis zum Papst). Es gibt Kinder, die von ihrem Naturell her nicht so gut in einer Krippe zurechtkommen und vielleicht bei einer Tagesmutter
besser aufgehoben sind. Und umgekehrt sind manche Kinder in der Krippe besser dran. Das wissen die Eltern am besten. Und sie wissen auch am besten, was ihnen selbst guttut: Die eine Mutter findet das Leben zu Hause mit dem Säugling wunderbar, eine andere fühlt sich in der gleichen Situation vom Leben ausgeschlossen. Nur was die unmittelbar betreuende Person selbst als erstrebenswert erachtet, kann langfristig auch für das Kind funktionieren.
SECHSTENS UND LETZTENS. In der Zeitung wurde kürzlich berichtet, dass Rentner sich im Emsland ein Dorf bauen wollen, um dort den Lebensabend zu genießen. Im Grunde stünde heute, wo vielen Eltern ihr »Stamm« abhandengekommen ist, auch für die jüngere Generation eine ähnliche Suche auf dem Programm: Wie können Menschen mit Kindern wieder einen »Stamm« finden – einen Stamm in neuer, moderner Form? Wie können sie der Vereinzelung entkommen, die das Leben mit Kinder heute nur allzu oft mit sich bringt?
Kurz: Wir sind viel zu brav. Dass sich unsere Kinder wohlfühlen und dass wir uns mit unseren Kindern wohlfühlen, das ist unsere Zukunft. Wenn wir das nicht schaffen, brauchen sich unsere Eliten bald auch nicht mehr in Davos zu treffen, um über die Zukunft nachzudenken. Vielleicht haben wir wirklich zu lange die Banker, die Macher und Manager bejubelt, anstatt Tagesmütter, Erzieherinnen, Großmütter, Eltern und, ja: auch Kinder zu feiern. Vielleicht ist es an der Zeit, dass alle, die für Kinder sorgen, etwas lauter werden. Bildet Banden!
Uns selbst neu entdecken
Wer die Krankheit hat, keine Ungerechtigkeiten ertragen zu
können, darf nicht zum Fenster hinaussehen und muss die
Stubentür zuschließen.Vielleicht thut er auch wohl,
wenn er den Spiegel wegnimmt.
JOHANN GOTTFRIED SEUME (1806)
Wo ist das Dorf geblieben? Das war die Ausgangsfrage dieses Kapitels. Wir haben gesehen, wo es hapert. An vielen Stellen fehlt es an Aufwind und Anerkennung. An anderen Stellen an ganz praktischen Hilfen für die Kinder und die Familien. Das führt zu Forderungen. Der Forderung nach einer Geburts»hilfe« etwa, die diesen Namen auch verdient. Der Forderung nach mehr Unterstützung am Lebensanfang, besseren Krippen, nach mehr »Spielraum« für Kinder. Nach einer nicht nur auf Bildung, sondern auch auf die sonstige Entwicklung der Kinder zugeschnittenen Schule. Und und und …
Das sind wichtige Forderungen – wichtig auch für die Gesellschaft. Denn wenn wir an die Zukunft denken, landen wir noch immer viel zu oft bei den nachwachsenden Brennstoffen, dem Potenzial der Solarparks, der Infrastruktur des Standorts – und viel zu selten bei der Infrastruktur, die die Kinder für ihre Entwicklung
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