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Menschenkinder

Menschenkinder

Titel: Menschenkinder
Autoren: Herbert Renz-Polster
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Familienförderung im Grunde ein verlorenes Jahrzehnt beschert haben). Nämlich die konkreten, direkt bei den Kindern ansetzenden Hilfen: Unterstützung der Kindergärten, Ausbau und Verbesserung der Krippen und Horte sowie Investitionen in die Schulen (in Finnland etwa gibt es möglicherweise den einen oder anderen VW Golf weniger, aber dafür eben zwei Lehrer pro Klasse).
    Die direkte, konkrete Unterstützung ergibt Sinn. Die Stärkung der kindlichen Lebenswelten nämlich kommt bei allen Kindern an. Das hilft jeder Familie. Dass dadurch die Entwicklung der Kinder insgesamt besser läuft, lässt sich klar belegen.

    Wir brauchen diese kommunale Form der Familienförderung aber auch für eine andere Aufgabe unserer Gesellschaft, und zwar dringend: für die Integration. Denn Sprachkurse und Geschichtsunterricht für Erwachsene mit Migrationshintergrund in Ehren – wirklich porentief und nachhaltig läuft Integration nur im Kindesalter ab. Nur da kann der eingebaute Lernmotor genutzt werden, das geniale kindliche Sprachlernprogramm etwa. Für die Integration ist der soziale Quirl der Kindergruppe unverzichtbar.
    Vor diesem Hintergrund stimmt bedenklich, dass gerade der Kindergarten der blinde Fleck der Politik zu sein scheint. Niemand würde heute für eine moderne Gesellschaft ein Schulsystem akzeptieren, in dem Kinder für den Besuch einer öffentlichen Schule Geld bezahlen müssen. Das Lernen ist dafür viel zu wichtig, auch für die Gesellschaft als Ganzes! Für die Kindergärten aber wird dieses Argument systematisch ignoriert.
    Das haben gerade diejenigen auszubaden, die vom Besuch eines Kindergartens am meisten profitieren würden. Tatsächlich gibt es in diesem Land nicht wenige Dreijährige, die kein Deutsch können. Gehen sie in einen Kindergarten, so haben sie es in aller Regel gelernt, bis sie in die Schule kommen. Aber eben das passiert oft nicht. »Viele Eltern bringen ihre Kinder erst im letzten Kindergartenjahr zu uns, aus Kostengründen, weil das letzte Jahr kostenfrei ist. Aber Deutsch lernen in einem Jahr, das geht nicht!«, so die Leiterin einer Kita mit einem Migrantenanteil von 97% in Frankfurt. Die Aussage wird von der Statistik unterstrichen: Kindergartenbeiträge (auch wenn sie auf dem Antragsweg in Härtefällen teilweise oder ganz erstattet werden), stellen gerade für Kinder ein Hindernis dar, bei denen es eben zu Hause nicht so gut läuft oder in deren Familien kein Deutsch gesprochen wird. Aber die tollste Schule kann nicht funktionieren, wenn die Kinder mit Sprachschwierigkeiten, Verhaltensproblemen oder mangelnder Konzentrationsfähigkeit zu kämpfen haben. Bildung setzt an gelungener Entwicklung an. Und Integration, die nicht im Kindergartenalter passiert, kann auch in der besten Schule nicht nachgeholt werden.

    Insofern ermangelt es nicht einer gewissen Ironie, dass die erste grün-rote Koalition in Baden-Württemberg zwar ein Integrationsministerium schuf – die im Wahlkampf noch lautstark vorgetragene Forderung nach Abschaffung der Kindergartenbeiträge in den Koalitionsverhandlungen dann aber fallen ließ. Dafür wird wieder einmal eine Schulreform angepackt. Ohne dass die Entwicklungsrisiken schon bei den kleinen Kindern konsequent angegangen werden, wird das jedoch kaum funktionieren.
    Es ist schwer, arme Familien reich zu machen, das sehe ich auch. Ganz sicher aber werden die Familien ihr Armutsproblem nicht über das Kindergeld lösen können. Das kann nur über die Kinder gelingen – vorausgesetzt, wir bieten diesen ein sozial gerechtes, reichhaltiges Lernumfeld. Also Kitas und Schulen, in denen die Kinder sich gut entfalten können, unabhängig davon, ob ihr Papa Aufsichtsrat oder Arbeitsloser ist. Diese Lern – und Entwicklungswelten zu stärken – und für alle Kinder zu öffnen –, das sollte der Schwerpunkt der Familienförderung sein.
    Die Rolle der Krippen
    Braucht man dazu auch Krippen? Lange Zeit wurde behauptet, kleine Kinder seien nur bei ihrer Mutter gut aufgehoben, nur da fänden sie das große Maß an Liebe und sicherer Bindung, dessen es für eine günstige Entwicklung bedarf.
    Das ist aus evolutionärer Sicht nicht haltbar. Für die Betreuung ihrer Kinder stützten sich Mütter schon immer auf ein Netz von Helfern – wir haben es kennengelernt. 15
    In welchem Ausmaß dabei Fremdbetreuung genutzt wurde, hing stark von den Arbeits – und Lebensbedingungen ab. Wo Babys etwa in einem Lager zurückgelassen werden können, helfen sich Mütter beim Hüten (und
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