Menschenopfer - Gibert, M: Menschenopfer
einfach still.«
Es entstand eine Gesprächspause, während der die junge Frau, die noch immer bewegungslos an der Hausecke kauerte, sich fragte, ob es nicht besser wäre für sie, mit eingezogenem Kopf unter dem Fenster hindurchzutauchen und den Hof zu verlassen, aber aus irgendeinem ihr nicht recht klaren Grund entschied sie sich dagegen.
»Sie wissen«, fuhr der Besucher fort, »dass wir Männer wie Sie nicht brauchen, Kanaya. Sie im Gegenzug brauchen uns sehr wohl, und das sollten Sie sich am besten jeden Morgen aufs Neue klarmachen.«
»Natürlich, und das habe ich auch nicht vergessen, Herr Tondo. Ich bin, im Gegenteil, glücklich, von Ihnen beliefert zu werden. Sehr glücklich sogar.«
Kanaya druckste ein wenig herum, bevor er weitersprach.
»Es gab nur in den letzten Wochen diese merkwürdigen Vorfälle, und da dachte ich, dass …«
Er brach ab.
»Aber sicher ist alles in Ordnung«, fuhr er schließlich fort. »Natürlich ist alles in Ordnung.«
»So will ich Sie hören, Kanaya. Und wenn sich wieder einmal ein Gast beschweren sollte, schenken Sie ihm einfach einen Gutschein oder so etwas. Sie wissen doch, wie man mit solchen Dingen umgeht, oder?«
»Ja, gewiss. Allerdings ist es im Moment schwierig für mich, einen Ersatz für diesen Asami zu bekommen. Und die Freundin der anderen Küchenhilfe, die für ihn eingesprungen ist, hält das nicht lange durch. Dafür ist die Arbeit zu schwer und für eine Frau viel zu anstrengend.«
»Wo ist der Mann eigentlich, diese zweite Küchenhilfe? Wie war sein Name noch?«
»Obo. Shinji Obo.«
Watane Origawa erschauderte, als der Name ihres Freundes erwähnt wurde.
»Nach meinen Informationen«, fuhr Kanaya fort, »müsste er zu Hause sein. Das sagt jedenfalls seine Freundin.«
»So, so, zu Hause«, gab die dunkle Stimme erstaunt zurück. »Na ja, ist auch nicht so wichtig. Viel wichtiger ist das, was ich Ihnen schon vor Wochen aufgetragen hatte.«
»Was genau meinen Sie?«, wollte der Restaurantbesitzer unsicher wissen.
»Ich meinte, dass Sie Ihr Personal nicht von den teuren Delikatessen essen lassen sollen. Erinnern Sie sich nicht?«
»Doch, jetzt wieder. Darüber haben wir gesprochen, ja.«
»Ihr Gewinn ist im letzten Jahr drastisch eingebrochen. Das müssen Sie durch konsequentes Sparen auffangen, und das wiederum geht nur, wenn Sie die neuen Regeln genau nach unseren Vorgaben umsetzen. Also für alle Bediensteten das gleiche Essen, und das darf auf gar keinen Fall das sein, das den Gästen serviert wird. Unser teuer importierter Fisch ist einfach zu wertvoll, um ihn an die Mitarbeiter zu verfüttern.«
»Aber das weiß ich doch, Herr Tondo. Und ich habe es genauso gemacht, wie Sie es mir aufgetragen haben. Die Köche bereiten immer sehr bescheidene, fast ärmliche Speisen für die gemeinsamen Mahlzeiten zu.«
»Gut. Und ich werde sehen, was ich wegen der Suche nach Küchenhelfern für Sie tun kann. Vielleicht lässt sich ja diesbezüglich eine Lösung finden.«
»Sie meinen …?«
»Ich meine, dass ich versuchen werde, ein paar Helfer für Sie zu finden. Es kann vermutlich ein paar Tage dauern, aber ich bleibe am Ball.«
»Das wäre wirklich großartig, Herr Tondo«, bedankte Kanaya sich devot.
Watane, die noch immer lauschend an der Hausecke stand, fror mittlerweile erbärmlich in ihrer kurzen, nach Kochdunst stinkenden Bluse und der dünnen Hose, konnte sich jedoch nicht dazu durchringen, in die Küche zurückzugehen. Wie hypnotisiert folgte sie dem Gespräch der beiden Männer, das nun jedoch vor dem Ende zu stehen schien, denn sie hörte das Geräusch eines gerückten Stuhls.
»Dann verabschiede ich mich jetzt, Kanaya.«
Ein weiterer gerückter Stuhl, dann ein paar Augenblicke Stille.
»Es war mir eine große Freude, dass Sie sich hierherbemüht haben, Herr Tondo«, säuselte der Restaurantbesitzer. »Bitte, kommen Sie wieder, wenn Sie Lust darauf verspüren.«
»Das mache ich, wenn es mir notwendig erscheint«, antwortete der Angesprochene.
Die junge Frau hörte, wie eine Tür leise zugezogen wurde, danach war Stille. Mit vorsichtigen, tastenden Schritten auf den Zehenspitzen setzte sie sich in Bewegung, um wieder in die Küche zu gelangen. Dann jedoch glaubte sie, ihr Herz würde stehen bleiben, denn die Tür zum Flur wurde langsam nach außen geschoben. Noch ein paar Grad mehr Öffnungswinkel, und sie würde im grellen Neonlicht des Korridors stehen.
»Und vergessen Sie besser nicht«, ertönte erneut die nun drohende Stimme von
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