Menschenopfer - Gibert, M: Menschenopfer
Frau drehte sich um und sah ihn ängstlich an.
»Meinen Sie mich?«
»Klar meine ich dich. Was ist, brauchst du eine Extraeinladung zum Müllraustragen?«
»Nein«, erwiderte Watane, »ich habe nur nicht verstanden, dass Sie mit mir gesprochen haben.«
Der Mann tat so, als würde er sich in der Küche umsehen, wo außer den beiden nur zwei weitere Köche anwesend waren, und deutete mit dem Daumen auf seine Brust.
»Wir in den weißen Jacken kochen«, belehrte er sie sarkastisch, »ihr in den Plastikschürzen sorgt dafür, dass die niederen Arbeiten erledigt werden. Dazu gehört, dass der Müll rausgebracht wird. Also sorgst du jetzt dafür, dass es passiert.«
»Wo sind denn die Mülltonnen?«, wollte sie leise wissen.
Der Koch deutete auf eine große Doppeltür.
»Dort den Flur entlang, bis es nicht mehr weiter geht, nach rechts, bis zum Ausgang, dort links. Aber wenn du auf dem Hof bist, siehst du schon, wo du hin musst.«
Die junge Japanerin ließ den Topf in die Spüle gleiten, streifte sich die Gummihandschuhe ab und trat auf die große Müllwanne in der Ecke zu.
»Vergiss den zweiten Eimer nicht«, rief ihr der Koch mit einem Fingerzeig in die andere Ecke zu.
Nachdem sie den riesigen blauen Sack aus der Wanne gezogen und das obere Ende verknotet hatte, verließ sie mit dem Abfallbeutel vor dem Körper keuchend die Küche und hatte ein paar Sekunden später den beschriebenen Ausgang erreicht. Dort auf dem Hof war es stockdunkel, nachdem die Tür hinter ihr zugefallen war.
Oh, mein Gott , schoss es ihr durch den Kopf, nimmt denn dieses Martyrium gar kein Ende?
Sie wartete ein paar Augenblicke, bis ihre Augen sich ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt hatten, und trottete dann langsam und mit vorsichtigen Schritten durch den Schnee nach links, wo, wie der Koch ihr erklärt hatte, die Mülltonnen stehen sollten. Obwohl sie kaum sehen konnte, wo sie hin trat, stand Watane Origawa kurz darauf vor vier riesigen, trotz der niedrigen Temperaturen ekelhaft stinkenden Mülltonnen. Mit klammen Fingern schob sie den Deckel der vorderen Tonne nach hinten, griff nach dem Müllsack und ließ ihn fallen. Es gab ein knirschendes Geräusch, dann war wieder Stille auf dem Hof. Die junge Frau schluckte, schlang die Arme um den Bauch, rannte mit schnellen Schritten zurück zur Tür und war froh, als sie wieder in der Wärme und dem Licht des Flures angekommen war. Danach entsorgte sie, wie der Koch es ihr aufgetragen hatte, den Sack aus dem zweiten Eimer in derselben Tonne. Wieder wollte sie so schnell wie möglich zurück in die Küche, doch ein lautes Geräusch und das im direkten Anschluss aufflammende Licht aus einem der Fenster ließ die junge Frau erschreckt zusammenzucken. Vorsichtig reckte Watane den Kopf nach vorn, um einen Blick auf den jetzt hell erleuchteten Hof zu erhaschen. Dort war niemand zu sehen, doch im gleichen Augenblick wurde das Fenster, aus dem das Licht fiel, gekippt, und sie konnte leise Stimmen hören. Männerstimmen.
Mit zitternden Beinen wollte sie sich möglichst leise und unauffällig an dem zwischen ihr und dem Eingang zum Flur liegenden Fenster vorbeischleichen, doch die nun donnernde, einschüchternde Stimme eines der Männer ließ sie erneut zusammenzucken und zurückweichen.
»Wie kommen Sie darauf, dass ich etwas mit dem Verschwinden Ihrer Küchenhilfe zu tun haben könnte?«
Watane überlegte kurz, ob ihr dieser bellende Ton, dieser herrische Ausdruck schon einmal begegnet war. Nein, diesen Mann hatte sie noch nie reden gehört, da war sie sicher.
»Aber, Herr Tondo, so habe ich das doch gar nicht gemeint. Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch.«
Das war eindeutig die hohe, unangenehme Fistelstimme von Herrn Kanaya. Nur hatte sie jetzt etwas Unterwürfiges, Ehrfürchtiges.
»Was gibt es da falsch zu verstehen, wenn Sie mich fragen, ob ich etwas über den Verbleib dieses Schwachkopfs weiß?«, erwiderte der andere. »Nichts! Gar nichts!«
Der Mann hatte jedes seiner Worte bewusst akzentuiert herausgepresst.
»Und, aber das muss ich bestimmt nicht extra erwähnen, selbst wenn es so wäre, würde ich mich von Ihnen nicht darauf ansprechen lassen. Das, was ich mache oder auch nicht, geht Sie nämlich einfach nichts an.«
»Selbstverständlich, da will ich Ihnen auch nicht widersprechen. Ich dachte nur, weil wir neulich über ihn gesprochen hatten, hätten Sie vielleicht Informa…«
»Seien Sie still, Kanaya«, wurde der Restaurantbesitzer barsch unterbrochen. »Seien Sie
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