Menschenskinder
und wenn sie es auch nicht direkt gesagt hatte, so hatte ich die leisen Untertöne doch verstanden, und die hatten unmissverständlich geklungen: Das kleine Schwarze ist nicht nötig, Gammellook aber auch nicht! Also lass die Jeans im Schrank und zieh dich etwas seriöser an!
Um fünf Uhr nachmittags hatte ich das Problem noch immer nicht gelöst. Was, bitte sehr, gilt als seriös, wenn man bei inzwischen 23 Grad in einem Bierzelt sitzen wird, wo es vermutlich noch ein bisschen wärmer ist als draußen und mit Sicherheit auch die Damen und Herren Pädagogen in Freizeitkluft erscheinen werden? Jackenkleid? Nein, danke! Hosenanzug? Viel zu heiß! Kurzärmelige Sommerkleider mit schwingendem Rock und Gürtel in der Taillengegend besitze ich nicht, und Jeans durfte ich nicht. Dabei habe ich ja auch weiße, da sieht man gar nicht, dass es welche sind. Allerdings machen sich Senfflecke darauf besonders gut.
Und dann fiel mir wieder der Slogan mit dem edel knitternden Leinen ein. Den könnte ich ja ruhig wiederkäuen, sobald mich ein tadelnder Blick meiner Tochter wegen der Ziehharmonikafalten in den Kniekehlen trifft. Irgendwo musste doch eine Hose von mir … richtig, die hing noch oben in der Mansarde bei der Sommergarderobe; mangels entsprechender Temperaturen hatte ich bisher nur einen geringen Teil davon heruntergeholt. Der Blazer, im voll gestopften Schrank schon jetzt mächtig zerknittert und alles andere als edel aussehend, hing daneben. Mit pastellfarbenem – was sonst? – T-Shirt drunter würde ich hoffentlich Nicoles Ansprüchen genügen.
Ich hatte gerade das Bügeleisen eingeschaltet, um der zerknautschten Jacke ein noch edleres Aussehen zu verleihen, als mein Erst-in-einer-Woche-richtiger-Schwiegersohn plötzlich vor mir stand (sommerliche Temperaturen und die daraus resultierende Angewohnheit, die Terrassentür offen zu lassen, sorgen zwar für Frischluft, ermöglichen jedoch andererseits freien Zutritt für alle, die den Trick mit der klemmenden Gartentür kennen). »Hallo, Schwiegermama, noch so fleißig?«
»Hallo, Schwiegersohn, noch nicht umgezogen?« Er lief doch tatsächlich noch in Bermudas herum! »Wenn du Cola suchst, musst du in den Keller, hier oben ist keine mehr.« Jörg ist der Einzige in unserer Familie, der das Zeug trinkt, deshalb steht auch nie welche im Kühlschrank – nicht etwa wegen Missachtung, sondern aus Platzmangel!
Er wollte aber gar nichts trinken, vielmehr hockte er sich auf den Boden und sah mich durchdringend an. »Ich hab da was von einer Überraschung läuten hören, nichts Genaues zwar, aber wenn Hannes dahinter steckt, bin ich misstrauisch. Weißt du etwas?«
»Nein. Was sollte ich denn wissen?«
»Gerade das will ich ja von dir erfahren.«
Jetzt wurde es kritisch. Vorsichtshalber stellte ich erst mal das Bügeleisen ab. »Erstens weiß ich nicht, worüber ich etwas wissen soll, und wenn ich es wüsste, würde ich es wahrscheinlich nicht verraten. Welche Art Überraschung befürchtest du denn?«
Was man selber nicht weiß, kann man anderen nur schwer erklären. »Ich will ja nur klarstellen, dass wir ein paar Aufpasser haben, die ein bisschen die Augen offen halten, damit niemand über die Stränge schlägt. Sie kümmern sich auch um die Autos, und wenn Hannes seinen Kombi mit alten Kloschüsseln voll geladen hat, kommt er gar nicht erst durch!«
»Nur zur Erinnerung: Er handelt mit Deko-Material und nicht mit Sanitärbedarf?«
»Na und?« Jörg grinste. »Jeder Klempner ist doch froh, wenn er kostenlos das alte Zeug los wird.«
Ganz ehrlich, zutrauen würde ich es Hannes schon, andererseits ist er zu sehr Ästhet, um sich mit ausrangierten Toiletten abzugeben. Deshalb konnte ich Jörg auch mit gutem Gewissen beruhigen. »Ich habe wirklich keine Ahnung, mit welcher Art von Scherben er eurem Glück auf die Sprünge helfen will, aber Kloschüsseln sind’s garantiert nicht!«
Das musste wohl so überzeugend geklungen haben, dass Jörg einigermaßen beruhigt von dannen zog, diesmal durch die Haustür. »Tschüss bis nachher, und kommt nicht so spät!«
»Bestimmt nicht«, versprach ich. Dann räumte ich das kaltgewordene Bügeleisen weg, probierte die Jacke an und musste einsehen, dass sie um keinen Deut besser aussah als vorher.
Kurz vor sieben bog der große grüne Lkw lauthals hupend in unsere Straße ein und wurde, kaum dass er zum Stehen gekommen war, von sämtlichen Kindern der Umgebung umringt. Autos dieser Größenordnung halten bei uns nur dann, wenn
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