Menschenskinder
einem Stückchen Sahnetorte aufstocken und Kaffee Haag ordern, der Gesundheit zuliebe. Die Herren ziehen allerdings ein Viertele Württemberger vor, vielleicht auch zwei, wenn die Zeit noch reicht, denn um halb sieben gibt es in den Kurheimen Abendessen.
Kaum jemand weiß, dass dieses Cafe quasi die Dependance eines der hiesigen Hotels ist, außer Kaffee und Kuchen auch kleine Snacks anbietet und in Ausnahmefällen sogar Größeres. Hochzeiten gehören dazu, nur die überschaubaren natürlich, denn allzu groß sind die Räumlichkeiten nicht, und die Terrasse kann man allenfalls fest einplanen, wenn die Wetterfrösche ein Dauerhoch von zwei Wochen prophezeien. Dann nämlich besteht die Wahrscheinlichkeit, dass es wenigstens drei oder vier Tage lang schön bleibt.
Für uns war natürlich drinnen gedeckt worden, doch erst einmal musste das obligatorische Glas Champagner getrunken werden. Im Stehen natürlich, das ist so üblich und war hier auch gar nicht anders möglich, weil die festliche Tafel viel Raum beanspruchte und nur noch wenig davon übrig ließ. So standen wir ziemlich eng beieinander, in einer Hand das Glas, in der anderen das Täschchen (aus langjähriger Erfahrung nehme ich zu solchen Anlässen immer eins mit Schulterriemen), redeten Belangloses und warteten aufs Essen. Jedenfalls ich. Zwei Tassen Kaffee und eine halbe Grapefruit zum Frühstück halten nicht lange vor. Hannes schien es ähnlich zu gehen, oder weshalb sonst zählte er leise vor sich hin? »Vorspeise, Suppenlöffel, Fischbesteck, das waffenscheinpflichtige für den Hauptgang, Dessertbesteck … ist alles da, ich glaube, satt werden wir. Die Frage ist nur, wann dürfen wir anfangen?«
Noch war es nicht so weit, denn jetzt kam eine Dame im Business-Look zum Gratulieren. Mit einem Bukett. Nicki hatte aber schon zwei, fand keinen Platz zum Ablegen, reichte sie an Tom weiter. »Halt mal eben die Blumen!«
»Ich bin doch keine Vase!«
Mann mit Strauß in der Hand sieht meistens etwas dämlich aus, das fand wohl auch Katja und nahm ihm die Rosen wieder ab. So kam es, dass wenig später die beiden Restaurantfachfrauen (früher hießen sie Kellnerinnen, aber das andere klingt viel eindrucksvoller) der falschen Braut zur Hochzeit gratulierten.
Endlich durften wir Platz nehmen. Eine Tischordnung gab es nicht, bei vierzehn Personen auch überflüssig, das Brautpaar kam in die Mitte, wir übrigen verteilten uns nach Belieben, letztendlich waren wir alle Verwandtschaft.
Tagelang waren die wichtigen Fragen erörtert worden, ob Suppe oder keine, wenn ja, welche, Shrimpscocktail ist nicht jedermanns Sache, also stattdessen irgendwas mit Geflügel, sind Kalbsmedaillons besser als Rinderfilet, was kriegt derjenige, der keinen Fisch mag, oder lässt man den ganz weg, welches Gemüse passt wozu, Vitamine müssen nun mal sein, glasierte Karotten kommen immer gut an, schon wegen der Farbe; als Bremsbeilagen bloß keine Nudeln, lieber Reis, nein, geht nicht, mein Vater isst keinen … Wer letztendlich auf die Idee mit dem kalt-warmen Büfett gekommen ist, weiß ich nicht, auf jeden Fall ist das ein sehr weiser Entschluss gewesen.
Zweieinhalb Stunden lang wurde aufgetragen und abgetragen. Statt der bei den meisten Büfetts üblichen kleinen Badewannen mit den winzigen Feuerchen darunter, die einen mehr optischen als praktischen Effekt haben, weil die Speisen nach kurzer Zeit doch bloß noch lauwarm sind, kamen die einzelnen Gänge hier nacheinander auf den Tisch, die Auswahl blieb überschaubar und vor allem heiß. Als Dessert gab es neben den ebenso verlockenden wie kalorienreichen Mousses und Törtchen auch Obstsalat. Sehr vorausschauend. Wenn ich die Schlagsahne wegließ und mich auf zwei bis höchstens drei Löffelchen voll beschränkte, konnte ich vielleicht ein bisschen mein Gewissen beruhigen. Nach der heutigen Völlerei waren sowieso wieder zwei Tage Knäckebrot und Joghurt fällig.
»Du nimmst Obstsalat!«, befahl Steffi, die dick mit Schokolade überzogenen Eclairs aus Hannes’ Reichweite schiebend. »Denk dran, nächstes Wochenende wollen wir zum Tauchen. So weit ich mich erinnere, hattest du schon im letzten Urlaub den Reißverschluss vom Anzug kaum zugekriegt.«
»Erstens ist das vier Monate her«, protestierte er sofort, »und zweitens war das seinerzeit bloß wegen dreimal täglich essen müssen. Jetzt kann ich ja schon froh sein, wenn ich einmal pro Tag was kriege!« Seufzend unterzog er die Schüssel mit dem Fruchtsalat einer genaueren
Weitere Kostenlose Bücher