Menschenskinder
ereiferte sich Katja, »das wäre der Hauptgewinn gewesen!« Dann hielt sie Nicki die Kuverts entgegen. »Nun zieh endlich eins!«
»In der Mitte stecken meistens die Nieten«, überlegte die, »nach rechts greift man instinktiv, also nehme ich die linke Seite!« Sprach ’s und zog den Umschlag heraus. »Darf ich ihn jetzt aufmachen?«
»Nein, den bekomme erst mal ich.« Katja zog einen zusammengefalteten Briefbogen aus dem Kuvert und las vor: »Ihr fliegt mit dem Herzblatt-Hubschrauber nach … nee, jetzt bin ich doch tatsächlich im falschen Zug. Also: Ihr fahrt mit dem Hochzeitsauto in die Futtertage nach Hmhmhm in das Romantik-Hotel Hmhmhm. Dort bezieht ihr die Hochzeitssuite, wo euch ein kleines Abendessen erwartet. Am nächsten Morgen wird euch ein Champagnerfrühstück ans Bett serviert, danach könnt ihr bei freiem Eintritt das Heimatmuseum besuchen, auf der Stadtmauer spazieren gehen oder auch im nahe gelegenen Stausee plantschen. Am Abend gibt es ein festliches Candlelight-Dinner und Sonntag früh noch mal Frühstück, allerdings im Speisesaal, und der Champagner kostet dann auch extra.«
Katja reichte das aufgelistete Vergnügungsprogramm an ihre Schwester weiter. »Viel Spaß! Und jetzt macht, dass ihr in die Hufe kommt, mit zwei Stunden Fahrt müsst ihr rechnen, freitags ist bekanntlich Vertreter-Rallye.«
So schnell ging es nun aber doch nicht. Erst wurden wir von dem völlig überraschten Brautpaar der Reihe nach umarmt, auf beiden Seiten flossen sogar ein paar Tränen, ich bekam von meinem neuen Schwiegersohn den ersten Kuss auf die Wange, und während er mit seinem Vater anhand zweier unterschiedlicher Autokarten (die von Jörg war natürlich neueren Datums) die günstigste Route ermittelte, wollte Nicki wissen, was in den anderen zwei Umschlägen steckt.
»Na, was wohl?«, fragte Katja grinsend und entnahm den Kuverts zwei absolut identische Briefbogen. »Mit ’nem Computer kann man nicht nur Elternbriefe entwerfen und dreißig Mal ausdrucken, sondern auch nette kleine Spielereien. Ich gebe allerdings zu, dass an denen hier Hannes beteiligt war. Aber eines weiß ich gewiss: Als nächstes schaffe ich mir einen Farbdrucker an.«
Und dann bildeten wir doch noch einen richtigen Konvoi. Erst vom Parkplatz bis zur Straße, dann ums Kurviertel herum zum Bahnübergang, wo die dunkelgrüne Limousine Abschied hupend geradeaus weiterfuhr, während der Brautwagen links einbog und dann sofort auf den parallel zum Bahnhof gelegenen Parkplatz kurvte und anhielt. Wir kurvten hinterher. »Was ist denn los?«
»Noch nicht, aber gleich«, rief Jörg zurück, stieg aus und entfernte das mit langen Klebestreifen befestigte Gesteck von der Kühlerhaube. »Hat jemand eventuell Interesse daran?«
Niemand hatte.
»Nun gib das Gemüse schon her«, sagte Sven schließlich, »für den Abfallkorb ist es zu schade.« Dann klebte er die Blumen auf das Vorderteil einer parkenden ›Ente‹. Auf dem Heckfenster prangte noch unübersehbar das Emblem der nunmehr erlangten Reife ihres Besitzers: Abi 1997. Es ist übrigens das Schlussbild des eigentlichen Hochzeitsfilms. Der zweite Teil fällt mehr in die Kategorie: Ein bisschen Spaß muss sein!
»Die kommen doch erst übermorgen zurück, also haben wir einen ganzen Tag lang Zeit!«, hatte Steffi gesagt, als wir am Abend zusammen mit unseren Nachbarinnen bei einem Glas Wein auf der Terrasse saßen und uns überlegten, wann und wie die geplante Dekoration des Brautgemachs und der übrigen Räume über die Bühne gehen sollte. »Ich stehe an einem Sonnabend bestimmt nicht früher auf als ich unbedingt muss!«
»Du hast ja auch keine Kinder, die du fünf Tage lang jeden Morgen um halb sieben nur unter Androhung fürchterlicher Konsequenzen aus den Betten kriegen musst und an Wochenenden mit genau den gleichen Drohungen wenigstens bis acht Uhr in den Betten zu halten versuchst!«, hatte Karen geantwortet und von den Zeiten geschwärmt, als die Schulen auch samstags geöffnet waren. »Ich glaube, der Slogan zur Kinderbefreiung hieß damals ›Samstags gehört Papi uns‹ oder so ähnlich, aber ich kenne keinen Papi, der nicht dankbar wäre, wenn sich das nur auf den Nachmittag beschränken würde. Von den Mamis gar nicht zu reden. Für die gibt es ja nichts Schöneres, als mit zwei maulenden Gören im Schlepptau am Samstagvormittag über den Wochenmarkt zu ziehen, weil der Papi so früh noch gar nicht seinen Kindern gehören will.«
Ich wusste genau, worüber Karen
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