Menschenskinder
Frauchen von Bernhard. Beide in mintfarbenen Jogginganzügen.
»Müssen wir da wirklich raus?«
»Natürlich müssen wir nicht, aber wir sollten«, belehrte ich meine Tochter, »wenigstens heute. Wenn wir uns gleich am ersten Tag gegen die Mehrheit stellen, macht das keinen besonders guten Eindruck.«
»Nennst du das Mehrheit?« Sie zeigte auf die Wiese, wo sich zu den zwei grünen Jogginganzügen und den beiden Schlabberhosen noch ein Paar gelbe Leggins gesellt hatten.
»Es ist auch noch nicht viertel nach«, gab ich zu bedenken, immer noch zweifelnd, ob ich bei diesem Aufmarsch überhaupt mitmachen sollte. Doch dann sah ich unsere vier Rheinländerinnen heranschleichen, offenbar auch im Schlaf gestört und sichtbar wenig motiviert, aber sie gaben den Ausschlag. »Komm, Steffi, jetzt wird nicht mehr gekniffen! Für dich ist das ohnehin nur Spielerei, aber wann ich zum letzten Mal durch Wald und Heide gesprintet bin, weiß ich schon gar nicht mehr. Vermutlich damals in Holland, als der Ziegenbock an meinen Fersen geklebt hatte.«
Wir waren die Letzten. Und die Einzigen, die überhaupt noch gekommen waren. Zusammen bildeten wir denn auch eine tolle Truppe: Kabeljau und Bernhards Frauchen, in den gelben Leggins steckte ein schon etwas überalterter BarbieVerschnitt, die Schlabberhosen gehörten zu zwei Schwestern, die ich erst gar nicht erkannt hatte, obwohl sie gestern am Nebentisch gesessen hatten (morgens um sieben sieht Frau eben doch noch sehr ›naturell‹ aus), dann die heute unterschiedlich bunt gekleidete ›weiße Riege‹ und wir beide. Mit zwei Minuten Verspätung erschien Gisela in Begleitung einer sehr schlanken jungen Frau im Sportdress. »Das ist Tanja, die mit Ihnen jetzt einen kleinen Spaziergang machen wird. Ich sehe Sie nachher beim Frühstück wieder.«
Sie trabte ab, wir trabten an. Schön im Gänsemarsch den Weg entlang, dann leicht aufwärts in den Wald hinein, hinten wieder runter auf einen anderen Weg, und plötzlich befanden wir uns am Fuß der Serpentinen, die wir jetzt flotten Hufes aufwärts joggen sollten.
Kabeljau streikte. Ich streikte mit. Renate ebenfalls, und zum Schluss blieben wirklich nur noch Stefanie und Conny übrig. Moni winkte sie weiter. »Lauft mal schön noch eine Runde, und wenn ihr wieder hier vorbeikommt, haben wir uns genug regeneriert, um den Aufstieg über die Treppe zu schaffen.«
Wir ließen uns ins Gras fallen, und das war auch schon so ziemlich das Ende meiner sportlichen Aktivitäten.
Nächster Punkt der Tagesordnung: Das Frühstück. Es wurde getrennt eingenommen, denn die Damen vom Unterhaus speisten auch dortselbst, die Bewohner des Oberhauses fanden sich am runden Tisch im Blümchenzimmer zusammen – von mir so genannt, weil in einer Ecke nicht nur ein großer Ohrensessel mit geblümten Bezug stand, sondern jeder freie Platz an den Wänden mit Aquarellen behängt war, und alle zeigten Blumen; mal in einer Glasvase, mal im rustikalen Milchtopf oder auch malerisch auf einem Tisch verstreut in Gesellschaft von Bauernbrot und einem halben Landschinken. Ich bin nie die Vermutung losgeworden, dass sich Amelie in ihrer Freizeit als Hobbymalerin betätigte und der Wandschmuck das Ergebnis davon war. Dass sie auch dichtete, merkten wir später, als uns das Gästebuch präsentiert wurde. Auf der ersten Seite prangte nämlich neben Amelies Foto die gereimte Bitte, den pfundschweren Wälzer pfleglich zu behandeln und statt eines Kugelschreibers lieber einen Füllfederhalter mit richtiger Tinte zu benutzen, erhältlich im Büro. Mich hatte diese Mahnung doch sehr an meine Grundschulzeit erinnert und an die damals noch üblichen Poesie-Alben. Natürlich hatte ich auch eins besessen, hellgrauer Einband mit einem herzigen Oblatenbildchen vorne drauf, und auf die erste Seite hatte ich in meiner allerbesten Schönschrift gemalt: Liebe Freunde mein, haltet mir das Album rein!
Dass wenig später ausgerechnet dort ein unübersehbarer Fettfleck prangte, habe ich meiner Freundin Christa monatelang nicht verziehen!
Im Blümchenzimmer standen auch die beiden Kühlschränke, in denen von Cola über zwei Biersorten bis zu Wein und Sekt alles zu finden war, was der 1000-Kalorien-Diät Hohn sprach. Es gab sogar Schokolade und Kekse. Der bewusste Block nebst Bleistift lag obenauf. Ich schaute kurz hin, bemerkte nur einen Namenszug, aber den insgesamt siebenmal. Für das Geburtstagskind musste es gestern ein ziemlich teurer Abend gewesen sein.
Das Frühstücksbüffet sah
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