Menschenskinder
prächtig aus und hätte mit jedem guten Hotel mithalten können. Auffallend das viele Grünzeug in Form von Gurken- und Tomatenscheiben, rohen Karotten, Sellerie- und Paprikastreifen – alles zusammen hätte einen prima Gemüseeintopf ergeben.
Natürlich gab es auch einen Querschnitt durch den ortsansässigen Bäckerladen, dazu Müsli, Aufschnitt, Käse, sogar Rühreier und gespiegelte, Marmelade, Honig, Joghurt – na, eben eine Auswahl alles dessen, was man morgens essen könnte. Wenn man wollte. Einziger Unterschied zum häuslichen Frühstückstisch: Überall steckten kleine Schildchen mit Zahlen drauf.
»Sind das die Preise«, wunderte sich Lilo, »ich denke, die Verpflegung ist inklusive.«
Renate, die Vielgereiste, schüttelte den Kopf. »Wo bekommst du denn heute noch eine Portion Rühreier für zwei Mark?«
Lilo zeigte auf den Brotkorb, an dem ein Schild mit einer 1 angebracht war. »Dafür sind die Brötchen ziemlich teuer, dann gleicht sich das doch wieder aus.«
»Alles falsch, meine Damen«, tönte eine muntere Stimme hinter uns, »das sind die Diät-Punkte.«
»Die was???«, kam es mehrstimmig zurück.
Amelie, heute in heißen Höschen und Lacksandaletten, stöckelte heran. »Wer seine Diät ernst nimmt – und das wollen Sie doch alle, nicht wahr? – der sollte beim Frühstück fünf Punkte nicht überschreiten. Also entweder eine Scheibe Brot mit einem Esslöffel Rührei und dann noch ein Joghurt, oder eine andere Variante, nämlich eine Portion Müsli mit Milch, das sind drei Punkte, und danach eine Scheibe Knäckebrot mit Marmelade. Käse und Wurst schlagen natürlich doppelt zu Buch, dafür zählt die Base gar nichts.«
»Was für ’ne Base?« Natürlich Lilo.
»Ernährungswissenschaftlich versteht man darunter die Grundlage einer gesunden Ernährung, die bei keinem Essen fehlen sollte. Sie fördert die Verdauung …«
»Ich glaube, die wird hier viel zu viel gefördert. Der Tee heute Morgen war ja auch nicht ohne!« Immer noch Lilo. Wenigstens eine, die das Zeug tatsächlich getrunken hat!
»Hat noch jemand Fragen?«
Ich hätte ja eine ganze Menge gehabt, doch in erster Linie hatte ich Hunger. Während ich noch überlegte, was sättigender beziehungsweise länger anhaltend sein würde, Müsli oder Rührei, war Amelie schon enteilt. Dafür kam Gisela und verteilte hektographierte Zettel. »Für jeden ist genau aufgelistet, wer um welche Uhrzeit seine erste kosmetische Behandlung hat. Ab morgen hängt der Plan hier neben dem Büffet. Und nun wünsche ich Ihnen guten Appetit.«
»Keine Angst, den haben wir!«, versicherte Conny und stürzte sich auf den Wurstteller.
Man wird nach so einem Fünf-Punkte-Frühstück tatsächlich satt und bleibt es auch – für die kommenden anderthalb Stunden. Als Überbrückung bis zur nächsten Mahlzeit kann man beliebig viele Äpfel essen. Die sind gratis (und machen noch mehr Appetit!). Oder Früchtetee trinken. Der kostet auch nichts und steht in Thermokannen im Kaminzimmer parat, also dort, wo sich tagsüber alle Oberhaus-Bewohner aufhalten, die nicht gerade in einem der rosa Kämmerlein geölt, gesalbt, gezupft oder auf andere Art gewellnesst werden.
Natürlich hätten wir auch auf die Liegewiese gehen und uns von der Sonne bescheinen lassen können – wenn sie denn geschienen hätte. Nach ihrem morgendlichen Gastspiel hatte sie sich hinter dunklen Wolken verkrochen und kam drei Tage lang nicht mehr hervor. Dank Rosemarie, die mit den Ritualen im Heidehaus schon vertraut war, weil sie das gesamte Beauty-Programm hinter sich hatte und nur noch täglich ihre gewickelten Krampfadern spazieren führte, erfuhren wir Näheres über das, was sich hinter dem ganzen kosmetischen Kauderwelsch verbarg. Weshalb es notwendig war, mit Hilfe einer sündhaft teuren Flüssigkeit die Neubildung meines Struktur-Collagens deutlich zu verstärken, habe ich trotzdem nicht begriffen, aber die ganze Prozedur hat eine Stunde gedauert und war sehr angenehm. Ich lag, eingepackt in Tüchern und mit etwas angenehm Duftenden auf dem Gesicht, auf einer Liege, von irgendwoher kamen Sphärenklänge, und wäre nicht im Nebenraum mit ziemlich viel Geklirr ein Sortiment Flaschen zu Bruch gegangen, dann wäre ich vermutlich eingeschlafen. Ob sich das Struktur-Collagen tatsächlich verstärkt hat, kann ich aber nicht sagen.
Zumindest das Ganzkörper-Peeling war erfolgreich. Man wird sehr kräftig von Kopf bis Fuß mit einer Paste eingerieben, die an zermahlene Kieselsteine
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