Menschenskinder
»Ausblasen!«
Renate pustete kräftig. »Wie rücksichtsvoll, dass ihr euch auf eine Kerze beschränkt habt. Je älter man wird, desto mehr ähnelt die Geburtstagstorte einem Fackelzug!«
Wenn man zu einer Geburtstagsfeier eingeladen wird, was sich in unserem Fall wohl nicht hätte umgehen lassen, dann ist es üblich, dass man dem Geburtstagskind etwas schenkt. Ich will ja gar nicht die Nützlichkeit derartiger Liebesgaben debattieren, obwohl ich dank inzwischen sehr vieler Geburtstage ungefähr zwanzig Kerzenhalter in allen nur denkbaren Ausführungen von Glas, Holz und Keramik bis zu Porzellan und Sterlingsilber besitze, sieben Torten mit jeweils einem eigenen Tortenheber bestücken kann und mit Briefpapier bis an mein Lebensende versorgt bin. Dabei habe ich noch immer keine Ahnung, weshalb gerade Autoren so viel Briefpapier geschenkt kriegen, und dann auch noch überwiegend Bütten, weil das am meisten hermacht. Es hat sich aber schon früher nur schwer in die Schreibmaschine spannen lassen, und heute, wo doch jeder einen PC benutzt, braucht man überhaupt keins mehr. Andererseits wäre ich froh gewesen, hätte ich jetzt nur einen jener Kartons hier gehabt. Zum Weiterverschenken! Am liebsten den mit dem hellblauen Papier und der entzückenden Illustration in der rechten unteren Ecke jedes Blattes: Eine gestrichelte zarte Frauenhand mit einer Rose zwischen den Fingern. Ich hätte bestimmt schon mal einen Bogen benutzt, wenn mir der passende Text dazu eingefallen wäre.
Und dann kam mir die Erleuchtung. Ich habe doch immer zwei oder drei Bücher von mir dabei, im Auto oder, wie jetzt, im Koffer. Nicht aus Eitelkeit oder Angabe, die Zeiten hat’s zwar mal gegeben, sind aber längst vorbei, sondern um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein. Wenn man nämlich mit einem platten Reifen auf einen dieser motorisierten Gelben Engel angewiesen und nicht Mitglied des Automobilclubs ist, bekommt man nach beendeter Reparatur zusammen mit der Rechnung eine Beitrittserklärung ausgehändigt, deren Unterschrift zu verweigern nur ganz gefestigte Menschen schaffen. Mir war es damals nicht gelungen, und als ich nach elf Jahren endlich meine Mitgliedschaft kündigte, hatte ich den Verein in der Zwischenzeit niemals wieder gebraucht. Das passierte erst ein paar Monate später. Dem Gelben Engel erzählte ich, ich sei unterwegs zu meinem Verlag, sowieso schon spät dran, und ob er sich ein bisschen beeilen könnte. Er bekäme dann auch ein Buch von mir. Mit Widmung. Geglaubt hatte er mir allerdings erst, nachdem ich ihm das Foto auf dem Umschlag gezeigt hatte, aber dann konnte ich sehen, wie es seinen vorher recht mäßigen Arbeitseifer beschleunigt hat. Nicht das Foto, nur das Buch!
Als der Klempner nach Besichtigung der streikenden Wasserleitung behauptete, das passende Ersatzteil nicht dabei zu haben, und erst am nächsten Tag wieder kommen wollte, weil er eigentlich schon Feierabend habe, köderte ich ihn mit der Aussicht auf sofortige Barzahlung sowie ein Buch mit persönlicher Widmung. »Ach, wissen Sie, ich lese ja nie, aber wenn Sie für meine Frau … sie heißt Roselore Schmid, nur mit d am Ende.« – Noch am selben Abend konnten wir wieder duschen!
Im Haus Heide wusste natürlich niemand etwas von meinem – na ja, nennen wir es Doppelleben. Hier war ich nicht Evelyn Sanders, sondern Frau Sowieso, von Beruf Hausfrau, die dem Geburtstagskind Renate zwanzig Minuten nach Mitternacht ein Buch schenkte. Mit allen guten Wünschen undsoweiter. Noch im Zimmer hatte sie ein paar Zeilen hineingeschrieben, froh darüber, dass sie Steffis Missfallen »Musst du deine gesammelten Werke selbst in die Pampa mitschleppen?« getrotzt und doch zwei Bücher eingepackt hatte. Man kann eben nie wissen, ob man sie nicht braucht!
Renate fand das ja auch ganz reizend, bedankte sich wortreich, schlug das Buch aber nicht auf, was mir weitere Erklärungen zunächst ersparte. Die beiden Sektflaschen waren ohnehin leer, wir wünschten uns gegenseitig eine gute Restnacht und gingen in unsere Zimmer mit dem Vorsatz, uns pünktlich um sieben Uhr zur Morgengymnastik einzufinden.
»Was glaubst du, Määm, wie alt die Renate geworden ist«, wollte Steffi, schon im Halbschlaf, wissen. »Fünfzig?«
»Sei froh, dass sie das nicht gehört hat! Ich schätze sie auf sechs- oder siebenundvierzig.«
»Also doch schon ziemlich alt!«
»Alt sind nur Antiquitäten! Alte Leute sind nämlich junge Menschen, die zufällig vor dir älter geworden sind!«
Weitere Kostenlose Bücher