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Menschenskinder

Menschenskinder

Titel: Menschenskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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das Vorurteil, je weiter östlich man sich von Deutschland entferne, desto unzuverlässiger seien Terminabsprachen. Er bedauerte nur, dass es gerade einen Kälteeinbruch gegeben habe, denn morgens um Acht nur knapp vierundzwanzig Grad seien ungewöhnlich, er habe deshalb auch seinen gefütterten Anorak angezogen, und ob wir denn keine Jacken dabeihätten?
    »Did you ever been in Europe?«
    Nein, bedauerte Carlos, in Europa sei er nie gewesen, würde aber gerne mal hinfahren, es müsse ein schönes Land sein. Worauf ihm Hannes empfahl, auf einen Besuch doch lieber zu verzichten, denn bei uns gälten Temperaturen über dreiundzwanzig Grad Celsius als hochsommerlich und würden relativ selten erreicht. Das erschien unserem Chauffeur so unglaubhaft, dass er Hannes ganz entsetzt ansah und beinahe einen Mopedfahrer auf die Kühlerhaube genommen hätte. Der dann folgende Wortwechsel dauerte knapp fünf Minuten und wurde von ohrenbetäubendem Gehupe begleitet, was die beiden Kontrahenten jedoch überhaupt nicht beeindruckte, denn die anderen Verkehrsteilnehmer fuhren einfach um sie herum.
    Überhaupt war das Durcheinander auf den Straßen beinahe noch chaotischer als am Abend vorher. Unzählige Lieferwagen krochen im Schritttempo dahin, viele davon aussterbende Modelle auf drei Rädern, hoffnungslos überladen und kaum noch verkehrssicher. Dazwischen immer wieder diese fantasievoll bemalten Busse, die mich oftmals an unsere heimischen Bauzäune erinnerten, wenn sich mit behördlicher Genehmigung Schulklassen oder begabte Sprayer an den Bretterwänden austoben durften.
    Als Carlos plötzlich von der Straße abbog und durch die schmale Einfahrt auf eine Art abgezäunten Fabrikhof kurvte, glaubte ich an einen Zwischenstopp zum Tanken, oder weil sein Vorrat an Cola-Dosen – offenbar sein Hauptnahrungsmittel – zur Neige ging, doch dann belehrte mich das auf dem Dach eines schmutzig-grauen Flachbaus angebrachte Schild eines Besseren: MANILA NATIONAL AIRPORT stand drauf. Flugzeuge waren nicht zu sehen, wurden wohl von dem Gebäude verdeckt, davor lediglich Parkstreifen für ein Dutzend Autos, die Hälfte davon besetzt, und sonst gar nichts. Personal schien es auch nicht zu geben.
    Carlos lud schon das Gepäck aus, während wir drei uns noch etwas zweifelnd umsahen. »In Mannheim haben wir ja auch bloß einen Provinz-Flughafen, aber trotzdem sieht der schon von weitem nach einem aus!«, räsonierte Steffi. »Ich denke, wir sind hier in der Hauptstadt der Philippinen, da können sie einem als Terminal doch nicht so einen Fahrradschuppen anbieten!«
    Sie hatten es aber doch getan! Über der einzigen Tür ein weiteres Schild: DEPARTURES AND TICKETING, Ersteres mühelos mit »Abflüge« zu übersetzen, Letzteres hatte ich noch nie gehört, vermutete jedoch, dass es sich um Flugscheinverkauf handelte. Uninteressant, wir hatten schon welche. Interessanter schon die Frage, wo denn wohl die ankommenden Passagiere das Gebäude verlassen würden, es gab weder ein Hinweisschild noch erst recht keine zweite Tür. Steffi vermutete, sie würden wohl am anderen Ende von Manila landen, hier sei doch gar kein Platz mehr, und Hannes ging sogar noch weiter und behauptete, man würde mit dem Fallschirm abgesetzt. »Es gibt ein Meer, und zu irgendwas werden die unzähligen kleinen Boote bestimmt gebraucht. Mit dem Fischfang soll ja nicht mehr viel los sein.«
    Carlos hatte das letzte Gepäckstück ausgeladen und schleppte nunmehr das erste zur Tür. Buggys gab es also auch nicht. Nur mit Mühe ließ er sich überzeugen, dass er nach längstens zehn Metern unter dem Gewicht des Tauchrucksacks zusammenbrechen würde, nahm dankbar den großzügig aufgerundeten Fahrpreis entgegen und versicherte uns treuherzig, so ein Kälteeinbruch gehe schnell vorüber, morgen sei es bestimmt wieder wärmer. Weshalb kam ich mir denn schon jetzt vor wie aus dem Wasser gezogen?
    Das Taxi fuhr ab und damit die letzte Chance einer Verständigung mit dem Flughafenpersonal, bestehend aus einer dicken Frau, die in einem als Office bezeichneten Raum Papiere von einem Schreibtisch auf den anderen räumte, sowie einem Mann in einer Art Uniform, der sichtlich entsetzt auf unseren Gepäckberg starrte, den Hannes gerade mit den zwei Kosmetikkoffern krönte. »Where are you going?«
    »Busuanga.« Steffi reichte ihm unsere Tickets. Er nahm sie, musterte noch einmal das Gepäck und verschwand im Office, wo er sich sofort ans Telefon hängte. Die dicke Frau schloss die Tür und machte

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