Menschenskinder
sie in den nächsten drei Stunden auch nicht wieder auf. Immerhin musste es eine zweite geben, denn den Uniformierten sahen wir ab und zu herumlaufen, leider unerreichbar, denn uns trennten erst ein Flur und dann eine ähnliche Barriere, wie man sie an Staatsgrenzen kennt.
Einen Warteraum gab es natürlich auch. Möbliert war er mit weißen Plastikstühlen sowie einem Getränkeautomat, in dem es nur Cola gab. Schon vor fünfzig Jahren, als die Amis mit Kaugummi und Coca-Cola bei uns in Berlin eingezogen waren, hatte ich festgestellt, dass dieses Zeug genauso schmeckt, wie Mottenpulver riecht. Das tut es immer noch! Ich machte mich also auf eine längere Durststrecke gefasst.
Kurz vor neun hatte uns Carlos abgeladen, um zehn sollte unser Flieger starten, um 9.45 Uhr saßen wir noch immer in Warteposition, nur durch eine gelegentliche Runde über den Parkplatz unterbrochen, weil man drinnen nicht rauchen durfte, und um fünf vor zehn platzte Hannes der Kragen. Er stapfte über den Flur, durchbrach die Schranke (bildlich gesprochen, genau genommen kroch er drunter durch), öffnete eine Tür und ward nicht mehr gesehen. Aber nur kurz. Zwei uniformierte Herren brachten ihn zurück und reichten ihn an jenen Mann weiter, der vor langer Zeit mit unseren Tickets verschwunden war.
Von dem nun folgenden Dialog bekamen wir nicht allzu viel mit, zumal es sich wohl mehr um einen Monolog handelte, denn Hannes hörte nur zu, was normalerweise selten der Fall ist, warf uns immer wieder einen verständnislosen Blick zu, nickte schließlich und kam mit ergebener Miene zurück. »Er spricht ein sehr eigenwilliges Englisch«, seufzte er, die vierte Dose Cola aus dem Automaten ziehend, »ich habe lediglich verstanden, dass wir noch warten müssen. Nur weshalb, weiß ich nicht.«
Flugzeuge schien es jedenfalls zu geben. Immer wieder hörten wir das Geräusch startender Maschinen, Passagiere tröpfelten herein, setzten sich, wurden nach zehn oder fünfzehn Minuten aufgerufen und kamen nicht mehr zurück. Auch zwei Deutsche waren darunter. Wir schöpften wieder Hoffnung, bis wir erfuhren, dass sie ganz woanders hinwollten. Deshalb brauchten sie auch kaum zu warten.
Es wurde halb elf, es wurde elf, ab und zu kam jener Angestellte vorbei, den wir nun schon kannten, wedelte mit unseren Tickets zum Beweis, dass er uns nicht vergessen hatte, und dann erschien sogar die dicke Frau und erkundigte sich lächelnd: »You want coffee?«
Eigentlich nicht, wer weiß, was das für ein Gebräu sein würde, aber dann nickte ich doch und war überrascht, dass er sogar recht gut schmeckte. Steffi fragte, ob sie drei Bogen Papier haben könnte, weißes, »to write a letter«, erläuterte sie, und dann etwas leiser: »Sonst kommt sie am Ende mit Packpapier!«
»Wem um alles in der Welt willst du denn jetzt einen Brief schicken?« Außer Ansichtskarten und dem wöchentlichen Einkaufszettel gibt es doch nichts, was Stefanie noch mit der Hand schreibt. Nicht, seitdem es Computer für den Hausgebrauch gibt.
»Niemandem natürlich. Ich dachte, wir spielen zur Abwechslung mal Stadt, Land, Fluss, oder fällt dir was Besseres ein?« Sie gähnte. »Ich habe bereits die Fliesen auf dem Boden gezählt – es sind 138 schwarze und 219 weiße – und die Inseln der Philippinen auswendig gelernt.« Mit dem Kopf deutete sie auf die gegenüberliegende Wand› an der eine große Bandkarte hing. »Es sind Luzon, Mindanao, Cebu, Palawan …«
»Das reicht erst mal! Die anderen 2700 kannst du dir sparen, das dauert sonst zu lange. Wollten wir nicht was spielen?«
Steffi hatte ihr Papier bekommen, wusste aber »nur noch so ungefähr, wie das geht.« Wenn ich mich recht erinnerte, dann hatte ich es zum letzten Mal in der neunten oder zehnten Klasse gespielt, während unser Chemielehrer vorne ein Experiment vorbereitete und wir genau wussten, dass es sowieso nicht klappen würde. Es klappte selten, und falls doch mal, dann mit einem anderen Effekt als vorgesehen. »Muss man da nicht bestimmte Begriffe mit immer dem gleichen Anfangsbuchstaben zusammensuchen?«
Weil Hannes nicht mitmachen wollte und lieber zum fünften Mal die einzige zerfledderte Zeitschrift durchblätterte, variierten wir die Spielregeln. Es durften nur ausländische Begriffe benutzt werden, also bei Berg oder Gebirge nicht Hunsrück, sondern Himalaja und statt Hamburg oder Heidelberg musste es eben Halifax heißen oder Honolulu.
Schon bei A wurde es schwierig. »Mir fällt kein Fluss ein!«, stöhnte
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