Menschenskinder
gut essen kann (ich hab’s aus nahe liegenden Gründen nicht ausprobiert), man besteigt die Freiheitsstatue und guckt aus der Fackel auf den Hudson-River (was, wenn der Arm von Lady Liberty plötzlich abbricht?), und natürlich macht man einen Hubschrauber-Rundflug dicht über die Wolkenkratzer und manchmal sogar zwischen ihnen hindurch. Wie schon gesagt, man macht das. Ich nicht! Ich kenne auch den Eiffelturm und den Stephansdom nur von unten, hasse mehrstöckige Einkaufszentren mit offenem Lichthof und würde niemals freiwillig in einen dieser gläsernen Fahrstühle steigen, die außen am Gebäude emporschweben. Weshalb mir Fliegen nichts ausmacht, weiß ich nicht, aber das hat irgendetwas mit Physik zu tun, und darin hatte ich sowieso immer eine Fünf.
Und nun sollte ich also mit in diese Moonlight-Bar. Die lag im obersten Stockwerk, also im zweiundzwanzigsten, und hatte riesige, erst knapp über dem Fußboden endende Panoramafenster.
»Ich glaube, wir haben Glück, da drüben ist gerade ein Tisch freigeworden«, sagte Hannes und steuerte darauf zu. »Willst du nach vorne?«
Nein, das wollte ich nun ganz bestimmt nicht. Steffi saß schon, drückte Stirn und Nase an der Fensterscheibe platt und freute sich über die Spielzeugautos unten auf der Straße. »Da ist immer noch Betrieb wie bei uns am Freitagnachmittag um fünf.«
Ich wählte den Platz an der Stirnseite des Tisches und drehte den Sessel so weit zur Seite, dass ich nicht mehr dauernd den Blick zum Fenster hatte. Einmal rübergucken hatte genügt. Ganz klar, das Lichtermeer rundherum war überwältigend, aber von unten, also vom sicheren Straßenniveau aus betrachtet, hatte es mir auch ganz gut gefallen.
Wenig später wussten wir, weshalb dieser doch recht exponiert stehende Tisch freigeworden war. Das Bar-Quintett nahm wieder seine Plätze ein, und zwar genau gegenüber. Dann betrat eine nicht mehr ganz jugendliche Dame in schwarzen Pailletten das Podium, griff zum Mikrofon und legt los. Ich konnte sogar ihre Goldplomben erkennen, weil der Abstand zwischen uns so gering war, und sofort fielen mir ein paar Zeilen von dem unvergesslichen Heinz Erhard ein, der offenbar auch etwas gegen Sängerinnen gehabt hatte.
Schließlich öffnet sie den Mund, erst oval, allmählich rund, und mit Hilfe ihrer Lungen
hat sie hoch und laut gesungen …
Genau das tat diese Dame hier auch. Ich hatte immer Angst, sie würde gleich in ihr Mikrofon beißen, obwohl das gar nicht schlimm gewesen wäre, denn mit Sicherheit hätte es einen Kurzschluss gegeben, und wir hätten eine Zeit lang Ruhe gehabt. So aber dröhnte es von allen Seiten, weil die zusätzlich aufgestellten Boxen für gleichmäßige Verteilung des Krachs sorgten. Darüber hinaus war die Kapelle bemüht, die Fonstärke auf einem gesundheitsschädigenden Level zu halten. Eine Unterhaltung war völlig unmöglich, wir verstanden ja nicht einmal den Kellner, als er uns die Getränkekarten reichte und dazu eine wortreiche Erklärung abgab.
»Was will er?«, brüllte Hannes.
»Keine Ahnung!«, schrie ich zurück, während ich ratlos den Handbewegungen des Obers folgte. Er zeigte immer wieder auf das Podium, dann auf die Karte, lächelte freundlich und wartete ab.
»Vielleicht ist es hier üblich, dass jeder neue Gast der Band eine Runde spendiert«, überlegte Steffi. »Die kriegen nur gefärbtes Wasser, und hinterher wird der Erlös geteilt.«
»Wir sind nicht auf der Reeperbahn!«
Das allerdings stimmte, da ist die Musik leiser. Hannes bestellte die Getränke, sie kamen auch wenig später zusammen mit der Rechnung, die beinahe doppelt so hoch war, wie sie eigentlich hätte sein dürfen. »Das muss ein Irrtum sein!«, machte er dem Kellner klar und deutete auf die CocktailKarte.
Der schüttelte nur den Kopf und zeigte wieder zur Band. Sie mühte sich weiterhin redlich, eine verbale Verständigung zu verhindern, und so trabte der entnervte Ober schließlich zum Lift und kam mit einer Art Notenständer zurück, den er vor uns aufbaute. Jetzt endlich wussten wir Bescheid. Ein Schild informierte jeden Besucher vor dem Betreten der Bar, dass er heute den Live-Auftritt des durch Funk und Fernsehen international bekannten Stars XY erleben könne und diesem Ereignis durch entsprechend erhöhte Barpreise Rechnung tragen müsse. Das daneben angebrachte Hochglanzfoto zeigte den Star vor circa fünfzehn Jahren.
Weshalb wir das Schild übersehen hatten, blieb ungeklärt, vielleicht wurde es bei zunehmendem
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