Menschenskinder
Wasser guckst, ist es immer tiefer als du vermutest. Als ich endlich trockenen Sand unter den Füßen hatte, war das letzte Drittel meiner ehemals weißen Bügelfaltenhose auch noch klatschnass!
Kapitel 4
S ie trocknete aber sehr schnell wieder, denn zwei Stunden später hatte ich sie gezwungenermaßen immer noch an. Angeblich befand sich unser Gepäck bereits auf dem Weg nach hier, nur wusste niemand genau, ob es noch flog oder schon schwamm. Wenigstens hatten wir die unplanmäßige Wartezeit zu einer gründlichen Inspektion der Insel und vor allem jenes »naturbelassenen Komforts« (oder so ähnlich) genutzt, den der Prospekt so lobend hervorgehoben hatte.
Nun versteht unter dem Begriff Komfort so ziemlich jeder Mensch etwas anderes. Wer in seiner Wohnung immer noch die Kohleöfen füttern muss, wird eine Zentralheizung als Komfort bezeichnen, während Zentralheizungsbesitzer gern noch zusätzlich einen Kamin hätten, nicht wegen der Wärme, sondern wegen der Romantik. Aber das fällt vermutlich schon wieder in die Kategorie Luxus. Außerdem muss man noch unterscheiden zwischen Komfort zu Hause und einem solchen im Urlaub. Für mich gehört zu Letzterem ein Zimmer, in dem ich genügend Stauraum habe, damit der Roomboy nicht immer um so viele Sachen herumwischen muss, ein anständiges Bett, dito Nachttischlampe (aus unerforschlichen Gründen werden Hotelbetten meistens von einer 25-WattBirne befunzelt, obwohl die Kosten für eine vernünftige Beleuchtung doch wohl am geringsten zu Buch schlagen), sowie ein Bad mit einer störungsfrei funktionierenden Dusche. Und das alles möglichst nicht im Einzugsbereich der Hotelküche oder der Disco. Ich brauche weder einen Fernseher noch eine Sesselecke, und den alkoholischen Teil der Minibar räume ich immer gleich aus, damit ich mehr Saft- und Mineralwasserflaschen kühlen kann.
Weiterhin gehören zum Urlaubskomfort ein Speiseraum, bei dessen Anblick man nicht gleich an einen Bahnhofswartesaal erinnert wird, und Personal, das nicht immer gerade dann das Zimmer aufräumen will, wenn man sich zur mittäglichen Siesta zurückgezogen hat.
Damit wären die Kriterien für einen komfortablen Urlaub eigentlich schon erfüllt, denn für drei Tage Regenwetter hintereinander oder eine nächtliche Sturmflut, die ein Drittel der Liegestühle auf Nimmerwiedersehen ins Meer spült, kann niemand etwas.
Nun hatten wir ja diesmal ein Ferienziel für Individualisten ausgesucht, ohne genau zu wissen, was man in der Reisebranchen-Terminologie darunter zu verstehen hat. Eigentlich hatten wir nur etwas gewollt, das abseits der üblichen Touristenpfade liegt, ergiebige Tauchgründe bietet und nicht jedem Gast ein schlechtes Gewissen verursacht, der sich nicht wenigstens einmal täglich im Fitnessraum ein paar Kalorien abquält oder schon vor dem Frühstück zehn Mal um die Insel joggt.
Das alles würde uns hier erspart bleiben. Einen Fitnessraum gab es erst gar nicht, und wer unbedingt joggen wollte, musste auf den Wegen bleiben, außenrum ging’s nicht, einmal wegen der Klippen und zum anderen wegen der naturbelassenen Vegetation. In der lebten sogar ein paar zahme Rehe, die sich immer zur Abendbrotzeit in der Nähe des Speisesaals einfanden und Pommes frites fraßen. Es gab aber auch anderes Getier, Spinnen von knapp Handtellergröße zum Beispiel, und Käfer, die nicht viel kleiner waren. Nachdem ich meinen Roomboy dahingehend informiert hatte, dass ich erstens kein geiziger Mensch bin und zweitens einen absoluten Horror vor allem habe, was mehr als vier Beine besitzt, war mein Bungalow ungezieferfrei. Ob die jeden Abend neben der Terrasse aufgereihten toten Viecher alle aus meinem Domizil stammten, wage ich allerdings zu bezweifeln, zumal ich den Kammerjäger ja nicht pro Leiche bezahlt habe!
Doch vielleicht sollte ich lieber von vorne anfangen! Nachdem wir ausgebootet und von einem halben Dutzend Angestellten empfangen worden waren – Letztere in Erwartung des zu transportierenden Gepäcks – wurden wir erst über den breiten, feinsandigen Strand und dann am Pool vorbei in das Hauptgebäude geleitet, das nur aus einem einzigen, allerdings sehr großen Raum bestand. Vorne rechts befand sich die Rezeption, gegenüber die frei stehende, rundherum mit Hockern versehene Bar, im Hintergrund zwei Billardtische, an einer Wand die unerlässliche Dart-Scheibe. Überall verstreut Sitzecken sowie in einer Nische verborgen eine dunkle Holztreppe, die zu einer kleinen, aber recht gut bestückten
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