Menschenskinder
Posten ab. Übrigens ist es Hannes gewesen, der am häufigsten zurücklaufen und Vergessenes holen musste, allerdings nur deshalb, weil er beim Knobeln mit Stefanie meistens verloren hatte.
Wir bekamen – offenbar in Unkenntnis der Verwandtschaftsverhältnisse, wer will schon mit seiner Schwiegermutter quasi unter einem Dach leben? – einen Familienbungalow. Er bestand aus zwei identischen Häuschen, die lediglich durch einen etwa zehn Meter langen Gang verbunden waren; jeweils eine Tür an beiden Enden garantierte die notwendige Privatsphäre, war aber vorteilhaft, wenn Steffi zu nächtlicher Stunde höchst mangelhaft bekleidet eine Kopfschmerztablette haben wollte, oder umgekehrt, wenn ich abends nach Hilfe schrie, weil ich nun mal keine Affenarme habe und es folglich nie schaffe, die After-Sun-Lotion auch auf dem Rücken zu verteilen.
»Jeden Tag eine gute Tat tun«, lautet der Auftrag aller Pfadfinder (ich bin aber nie einer gewesen!), und manchmal zahlt sie sich sogar gleich wieder aus! Da in diesen FamilienBungalows offenbar nur den Eltern eine Klimaanlage zugebilligt wird, während sich der Nachwuchs mit einem Ventilator begnügen muss, hatte ich mich freiwillig für den Kindertrakt entschieden und schon in der ersten Nacht festgestellt, dass ich sogar auf den Quirl verzichten konnte. Bei mir gingen Tür und Fenster nämlich zum Meer hinaus, Steffi und Hannes dagegen guckten auf den Hügel und wussten immer, wann halbschräg gegenüber mal wieder große Wäsche war, weil dann die Feinripp-Hemden von Karlemann und die fleischfarbenen BHs von Uschilein auf der quer über die Terrasse gespannten Leine hingen. Wenn ich vor dem Schlafengehen die Fenster öffnete, dann hörte ich nicht nur das Meer rauschen, sondern profitierte auch noch vom Wind. Schwiegersohn Hannes dagegen kann in tropischen Gegenden angeblich nur tiefgekühlt schlafen, und gelegentlich kam Steffi sogar zum Haarföhnen rüber, weil »ich in dem Eiskeller da drüben Frostbeulen kriege!«
Ausgestattet waren die Zimmer mit allem, was man so braucht (ich hatte diesmal sogar genügend Platz auf dem Nachttisch, weil ja das Telefon fehlte), allerdings mit weniger von dem, was man gern hätte. Die obligatorische Minibar war nicht da. Ich bin ja gar nicht auf ihren Inhalt erpicht, sondern auf den Kühlschrank! Warmes Mineralwasser schmeckt nun mal labberig! Es gab auch nur die schon erwähnte trübselige Beleuchtung (auf die versprochene hellere Glühbirne habe ich bis zum letzten Tag gewartet), und vor allem gab es keine direkt Verbindung zur Rezeption. Ob es sich um eine Reklamation wegen des festgeklemmten Toilettenschwimmers handelte oder um die simple Frage, ob das Barbecue schon heute oder doch erst morgen stattfindet, war egal, man musste erst hügelauf, hügelab, vorbei an den Personalunterkünften, an den gefährlichen Kokosnusspalmen und dem Tauchcenter bis zum Haupthaus, wo man dann hoffentlich jemanden fand, der einem wenigstens zuhörte. Ob er dann auch zuständig war, blieb abzuwarten.
Freundlich und hilfsbereit waren sie alle, angefangen vom Manager bis zum Gärtnerjungen, der jeden Morgen die elf welken Blätter (manchmal waren es auch vierzehn) vor meiner Terrasse zusammenharkte. Gelegentlich servierte er aber auch die Sonnenuntergangs-Cocktails draußen vor der Bar. Überhaupt schien es auf der Insel keine strenge Hierarchie zu geben, ich hatte eher den Eindruck, jeder griff dort zu, wo es gerade nötig war. Dafür durften die Angestellten aber auch, sofern sie es wollten, abends an der Bar ihre Cola oder ihr Bier trinken, sich mit den Gästen unterhalten oder auch nicht – eine Toleranz, die ich noch an keinem Urlaubsort erlebt hatte, die aber wohl auch nur auf solch einer kleinen Insel möglich ist. Nach längstens zwei Tagen kennt sowieso jeder jeden und nach drei Tagen fühlt man sich dazugehörig. Als Oberkellner Ramon mit einem dicken Verband am Zeigefinger in der Bar aufkreuzte, konnte er sich vor lauter spendierten »nu aber erst mal’n Kognak auf den Schreck! Wie is das denn passiert?« kaum retten. Dabei durfte er gar keinen, weil der Doc eine beginnende Blutvergiftung diagnostiziert, Antibiotika verordnet, Alkohol dagegen strikt verboten hatte.
Ach ja, unser Inseldoktor! Erleichtert waren wir gewesen, dass es auf dem doch etwas sehr entlegenen Eiland einen eigenen Arzt geben sollte, passieren kann ja immer mal was, und dass unter den Gästen zufällig ein Mediziner ist, kann man natürlich nicht erwarten. Das gibt’s
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