Menschenskinder
Datum! Die Nachricht ist drei Tage unterwegs gewesen.«
Tatsächlich. Außendienstler Lucky, als Florida-Fan der englischen Sprache durchaus mächtig, hatte einfach nicht daran gedacht, den Text in Englisch abzufassen. Die Agentur in Manila wiederum hatte bei der Übermittlung der ihr unverständlichen Nachricht keinen Fehler machen wollen, verzichtete auf das Funken und schickte das Telegramm auf dem normalen Weg weiter, also erst Flieger und dann Schiffchen. Allerdings hatte das Papier zunächst einmal zum Flugplatz gebracht und dort dem richtigen Piloten in die Hand gedrückt werden müssen, der es wiederum an den Busfahrer weiterreichen musste, auf dass dieser es dem Bootsführer … Unter diesen Umständen war es sogar bemerkenswert, dass der schon reichlich abgegriffene Zettel schon heute seinen Empfänger erreicht hatte.
Es dauerte fast eine Stunde und viele Schweißtropfen, bis wir unseren Text zusammengestoppelt hatten. Wer weiß denn schon – vor allem ohne Wörterbuch – was Polizeiprotokoll auf Englisch heißt oder Bestandsaufnahme? Und wenn man’s nicht weiß, wie umschreibt man das mit möglichst wenigen Worten? Telegramme sind teuer, und ganz besonders dann, wenn man sie in Dollar bezahlen muss.
Den Sonnenuntergang hatten wir verpasst. Egal, morgen kommt wieder einer, nur mit der warmen Dusche war’s diesmal nichts. Die ganz Hungrigen hatten sich schon rund um den Pool niedergelassen, Blick zum Speisesaal, und warteten auf den Gongschlag, der den Beginn der abendlichen Völlerei ankündigte.
»Wenn wir jetzt in unser privates Badezimmer verschwinden, haben wir sofort den ersten Neugierigen am Hacken«, befürchtete Steffi, »und ab morgen stehen sie dann Schlange.«
Sie schlug die entgegengesetzte Richtung ein. »Bilden wir uns eben noch mal ein, wir seien Eisbären! Frisch gezagt ist halb gewonnen!«
Als wir eine halbe Stunde später wieder zusammentrafen, gewaschen, geföhnt und in lange Hosen und der abendlichen Stunde entsprechend mückensichere Oberbekleidung gewandet, hatte sich Hannes wieder halbwegs beruhigt. »Das kommt davon, wenn man seine Urlaubsadresse hinterlässt!« Dabei hatte ich genau das Gleiche getan. »Du hättest von der ganzen Sache nichts erfahren, könntest weiterhin ruhig schlafen, statt dir den Kopf zu zerbrechen, weshalb dein Lkw abgefackelt ist. Wenn Lucky ein bisschen klüger gewesen wäre, hätte er das Telegramm erst gar nicht geschickt.
Machen kannst du von hier aus sowieso nichts.«
»Wer ist eigentlich auf die hirnrissige Idee gekommen, ausgerechnet auf dieses gottverlassene Eiland zu fahren?«, knurrte er. »In the middle of nowhere …«
»Jetzt kannst du ruhig wieder deutsch reden«, erinnerte Stefanie, »und irgendwo in die Mitte von nirgendwo hast du uns verfrachtet, falls dir das entfallen sein sollte! Und wenn’s heute Abend wieder Lobster gibt, trete ich in den Hungerstreik.«
Es gab Lobster! Schon beim Betreten des Speisesaals sahen wir die langen Fühler aus den metallenen Warmhaltekästen ragen, daneben die Behälter mit Reis, Currygemüse, neutralem Grünzeug, und als ich erwartungsvoll den letzten Deckel hochhob in der Hoffnung, mal etwas anderes als das schon hinreichend Bekannte zu finden, sah ich die Shrimps. Nein danke, nicht schon wieder!
Dabei liebe ich Meeresfrüchte (mit Ausnahme von Austern!), beurteile jedes Restaurant danach, ob Krabbencocktail auf der Speisekarte steht und wie er schmeckt, lasse für eine Languste jedes Gourmet-Menü stehen, ganz zu schweigen von Hummer … aber doch nicht jeden Tag!!! In der knappen Woche unseres Hierseins hatten wir schon alle Variationen in Lobstern durch: Gekocht, gebacken, frittiert, als Salat und halb roh mit scharfer Soße, als Alternative Riesenkrabben, und wem auch das nicht passte, konnte auf Huhn ausweichen: Gekocht, gebacken, frittiert, als Salat … Gemüse gab es immer, Reis natürlich auch, und einmal sollen es sogar Kartoffeln gewesen sein, doch davon hatten nur diejenigen profitiert, die rechtzeitig in den Startlöchern gesessen hatten. »Na schön, dann eben Huhn!«, seufzte Steffi, ein Flügelchen und zwei Schlegelchen auf den Teller legend. »Haben die hier eigentlich nur Küken?«
In diesem Augenblick schoss Juan mit einem zugedeckten Teller an uns vorbei, von dem ein ausnehmend appetitlicher Duft ausging. Camillo sei krank, er bringe ihm nur schnell sein Essen, entschuldigte er sich und rannte weiter. »Hast du das gerochen?« Steffi schnupperte immer noch.
»Am liebsten
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