Menschenskinder
angekommen, haben noch keinen Anschluss gefunden und ziehen mit Stadtplan in der einen Hand und Fotoapparat in der anderen durch die Straßen auf der Suche nach den empfohlenen Sehenswürdigkeiten. Im Cafe sitzen sie meist allein am Tisch.
Zweier- oder maximal Dreiergruppen, natürlich gleichgeschlechtlich, haben sich meist wegen gemeinsamer Interessen zusammengefunden. Entweder wollen sie die silberne Wandernadel schon nach zwei Wochen in Empfang nehmen können statt nach drei und sind deshalb in jeder freien Minute und bei jedem Wetter auf den Beinen, oder sie studieren Wirtschaftswissenschaft und kommen an keiner Kneipe vorbei; vielleicht gehören sie aber auch zu jenen Zeitgenossen, die immer und überall etwas zum Meckern finden und nun Erfahrungen austauschen, ob, wie und wen man eventuell wofür regresspflichtig machen könnte; jedenfalls traben sie meist forschen Schrittes durch die Geographie, ohne viel zu sehen.
Am häufigsten begegnet man natürlich den gemischten Gruppen. Fast immer sind sie auf dem Weg zu einem der etwas entfernt liegenden Ausflugslokale, weil man auf diese Weise die ärztlich empfohlene Bewegung mit kulinarischem Genuss verbinden kann. Auf dem Rückweg wird die eine Gruppe häufig von einer anderen abgefangen, die schon länger draußen vor der Eisdiele sitzt. Dann werden Tische zusammengeschoben, Stühle gerückt, der Kellner beginnt zu rotieren, weil er nicht mehr richtig vorbeikommt, obwohl er sich doch beeilen muss, denn um halb sieben gibt es in den Kurheimen Abendessen.
Richtige Spaziergänger sind eigentlich nur die älteren Kurschatten-Paare (es gibt sogar welche, die miteinander verheiratet sind). Sie bummeln Hand in Hand durch die Grünanlagen, sie trägt ihr Täschchen, er den Schirm, gemeinsam füttern sie Schlossparkteichenten mit alten Brötchen, machen sich gegenseitig auf besonders schöne Blumenbeete aufmerksam, nehmen auch mal auf einer Bank Platz, wo sie auf einer mitgebrachten Papierserviette einen Apfel schält, in Scheibchen schneidet und ihn kichernd damit füttert … mir gefallen sie, diese netten Pärchen, sie sehen immer so zufrieden aus.
Rolf geht übrigens auch spazieren. Aber nur in den Wald. Und nur zur Pilzzeit. Seit ein paar Jahren gibt es aber kaum noch welche bei uns, und nun reduzieren sich seine Spaziergänge auf den Weg von und zur Garage sowie zweimal täglich durch den Garten – im Winter weniger häufig. Aber ich sehe die Zeit schon kommen, wenn er sich ganz freiwillig auf die Beine machen wird. In der Nachbarschaft gibt es bereits mehrere Männer seines Alters, die stolz den Kinderwagen schieben und einen nur zu gerne reingucken lassen. »Im Vertrauen, Frau Sanders, erst habe ich von meinem Schwiegersohn ja gar nichts gehalten, aber seitdem der Kleine da ist« -es folgt ein entzücktes »Eideidei, nun lach doch mal die Tante an!« – habe ich meine Meinung geändert. Der Max-Werner ist ihm doch wirklich gut gelungen, nicht wahr? Und schon weit über sein Alter hinaus! (Soweit ich mich erinnere, ist der Knabe seinerzeit gerade vier Monate alt gewesen.) Aber auch das ist eines der Geheimnisse des Lebens: Ein Mann, der für die Tochter bei weitem nicht gut genug war, kann dann doch der Vater des gescheitesten Enkelkindes der Welt sein! Und eins unserer zweidreiviertel verheirateten Kinder sollte es doch schaffen, Rolf auch endlich zum kinderwagenschiebenden Opa zu machen!
Nachdem ich innerhalb von vier Tagen zwei Bücher ausgelesen und darüber hinaus festgestellt hatte, dass meine Bermudas in der Taille offenbar etwas eng geworden waren (hoffentlich war das nur auf die erhöhte Luftfeuchtigkeit zurückzuführen, nicht umsonst habe ich im Wäschetrockner schon mehrmals ganz normale T-Shirts auf Kleinkindgröße geschrumpft, andererseits könnte natürlich auch »dreimal täglich Speisesaal« schuld daran sein), fand ich es an der Zeit, ein bisschen aktiver zu werden. Schon wegen der Selbstachtung und der späteren Fragerei zu Hause. »Was hast du eigentlich die ganzen drei Wochen gemacht außer braun zu werden?« Ich brauchte ja nicht einmal mehr meinen Alibischreibblock nebst Zubehör zur Liege zu tragen, denn es waren Holländer angekommen, der deutschen Sprache mächtig und offenbar willens, von Uschileins Kenntnissen des Insellebens und ihren sonstigen Erfahrungen zu profitieren. Jedenfalls standen jetzt immer vier statt zwei Liegen unter ihrem großen Camel-Sonnenschirm (meiner stammte von einer Brauerei, und der von Steffi pries Gelati
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