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Menschenskinder

Menschenskinder

Titel: Menschenskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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sie den Urlaubsvertretungsbriefträger zusammengestaucht hat, weil der mit dem Einschreiben doch tatsächlich die Treppe hinaufgestiegen war und erst an der Wohnungstür geklingelt hatte. Und das alles bei Regenwetter!
    Rolf hatte noch gar nichts gesagt, doch bevor er sich auf das neue Sofa setzte, sah er seine Tochter fragend an:
    »Einfach so, oder muss da vorher eine alte Decke drunter?« Zugegeben, das schwarze Mobiliar von Tom (wieso lieben Männer eigentlich dunkle Möbel – weil man darauf den Dreck nicht so schnell sieht?) machte sich auf dem hellblauen Teppichboden wirklich gut, und die Knäckebrotkrümel kriegte Katja mit dem Handstaubsauger auch ganz schnell weg, bevor sie jemand festtreten konnte, doch was ist, wenn mal einer mit Schokoladenpudding kleckert oder mit Rotwein?
    Ein bisschen Stallmist unter der Sohle würde aber auch schon genügen, und deshalb hatte Katjas Latschensyndrom, wie der unsensible Vater den in dieser Wohnung üblichen Schuhwechsel später immer nannte, durchaus seine Berechtigung.
    Nach der Hausbegehung folgte zu späterer Stunde auch noch eine Ortsbegehung, die Rolf allerdings nicht mitmachte wegen der steilen Straßen und wegen Hertha BSC, die es mal wieder eine Saison lang in die Fußball-Bundesliga geschafft und heute ein Nachholspiel hatten. Ich wäre ja auch lieber im Warmen geblieben, allerdings ohne Fernsehen, aber es half nichts, ich musste mit und mir den Tante-Emma-Laden mit den drei Stufen davor ansehen, in dem es von fünf Sachen, die man haben will, höchstens zwei gibt, die Kirche, zweifellos das überragendste Bauwerk dieses Dorfes und nach Toms Ansicht auch das entbehrlichste, weil die Glocken so laut sind, ganz besonders sonntags in der Frühe, es gibt eine Milchablieferungsstelle und eine Post-Nebenstelle, die nur zwei Stunden täglich geöffnet hat. Es gibt auch eine Telefonzelle mit einem Papierkorb nebendran und eine Haltestel le.
    »Fahren hier tatsächlich Busse?« staunte ich.
    »Ja, drei«, sagte Tom, »einer morgens, einer mittags und einer abends. In den Ferien fällt der von mittags aber aus, hat man uns erzählt, und im Winter, wenn der Schneepflug noch nicht durch ist, kommt der von morgens manchmal erst mittags.«
    »Habt ihr euch schon mal überlegt, wie ihr dann hier runterkommen wollt?«
    »Gar nicht! Übermäßiger Schneefall ist schließlich höhere Gewalt, dagegen kann man nichts machen.«
    »Na, das muss Katja erst mal ihrer Schulbehörde verklickern!« Doch dann fiel mir ein, dass wir uns hier zwar schon ein bisschen im Odenwald befanden, wo man beim Straßenbau immer wieder mal auf natürliche Hindernisse stößt, andererseits liegt Waldminningen nicht in einem von Dreitausendern umschlossenen Alpental, muss also logischerweise einen zweiten Ausgang haben. »Könntet ihr nicht notfalls in die andere Richtung fahren?«
    Katja nickte. »Klar, bloß muss man da erst ein ganzes Stück weiter bergauf, bevor man wieder bergab kann. Dann kommt man zwanzig Kilometer weiter irgendwo an der Bergstraße raus.«
    »Hübsche Gegend, nur ein bisschen weit weg von deiner Schule.«
    »Ich will ja auch einen Versetzungsantrag stellen«, sagte meine Tochter in seliger Unkenntnis der Hürden, die es bei solch einem Vorhaben zu überwinden galt. Sie überwindet übrigens noch heute.
    Als wir zurückkamen, hatte Hertha BSC gerade verloren, aber das Brot war fertig, denn Katja hatte unsere Viel-Glück-im-neuen-Heim-Gabe natürlich gleich ausprobieren müssen.
    »Kaffee und Kuchen gibt’s überall, wenn nachmittags Besuch kommt, warum also nicht mal selbst gebackenes Brot und hausgemachte Wurst.«
    »Wieso? Schlachtet ihr jetzt selber?« Etwas misstrauisch beäugte Rolf die Pelle von der Leberwurst, die Katja gerade auf den Tisch gestellt hatte. »Was habt ihr dazu genommen?
    Recycelte Klarsichtfolie?«
    »Lass das bloß nicht unseren Hauswirt hören! Sein Bruder kriegt fast jedes Jahr eine Medaille für seine Kühe, und weil er hauptberuflich Metzger ist, kann er natürlich auch Wurst machen.«
    »Das sollte man annehmen«, vorsichtig schnitt Rolf ein Stück ab, »nur war ich bisher der Meinung gewesen, dass man Leberwurst aus Schweinefleisch herstellt.«
    Egal, sie schmeckte genau so gut wie die Rotwurst und der Schinken, nur das quadratische Brot war etwas gewöhnungsbedürftig, einmal wegen des leicht überhöhten Feuchtigkeitsanteils – auf gut Deutsch heißt das klitschig –, zum anderen wegen des Lochs in der Mitte vom Boden. Das lasse sich nicht

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