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Menschenskinder

Menschenskinder

Titel: Menschenskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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vor Jahren bei einem ähnlichen Manöver so eine Art Domino-Effekt erzielt hatte.
    Erst mit der hinteren Stoßstange an die leere Mülltonne, die gegen einen abgestellten Bollerwagen, der dann auch prompt abwärts rollte, drei Häuser weiter unten umkippte und gegen eine andere leere Mülltonne knallte, die ihrerseits ein frisch angelegtes Stiefmütterchenbeet platt walzte. Im Gegensatz zu jenem Nachbarn war Sascha von dieser Kettenreaktion hellauf begeistert gewesen. Eine Woche später wurde der Vorgarten durch einen soliden Jägerzaun gesichert, und statt der Stiefmütterchen kamen Tränende Herzen aufs Beet. Die haben aber auch nicht lange überlebt, weil sie größtenteils einem verirrten Fußball zum Opfer gefallen sind. Seitdem wächst dort der beliebte Vorgarten-Rhododendron im Doppelpack, rosa und hellblau gemischt.
    Rolf ließ also den Wagen zurückrollen, das ging auch ohne Probleme, war ja Sonntag, da kommt keine Müllabfuhr, dann startete er erneut, und nun folgte das, was wir schon gehabt hatten – nämlich nichts. Mit ergebener Miene zog er den Zündschlüssel ab. »Hier gibt es nicht zufällig eine Tankstel le?«
    »Nein!«, kam es unisono von den beiden Neubürgern zurück. »Hast du denn keinen Reservekanister?« So konnte nur Katja fragen, die nie einen besessen hatte und erst seit kurzem ein feuerrotes Exemplar ihr eigen nannte. Es war ein Geburtstagsgeschenk gewesen, randvoll mit neuem Wein und einer Rose im Eintüllstutzen.
    »Natürlich haben wir einen Reservekanister!« Ich öffnete den Kofferraum und begann herumzuwühlen. Weshalb dieser Teil des Autos speziell bei Männern ein fahrender Müllcontainer ist, werde ich nie begreifen. Eine Decke lasse ich mir ja noch gefallen, bei zehn Grad minus im Stau ohne Standheizung kann es sehr ungemütlich werden, aber weshalb wird sie nicht zusammengefaltet? Und wozu muss man eine halb zerfledderte, vier Monate alte Illustrierte spazieren fahren, wenn der Einsendeschluss für das Preisrätsel längst vorbei ist? Was sollen die vielen Plastiktüten? Und die kaputte Taschenlampe? Die leeren Flaschen? Zwei davon müssen seit mindestens einem halben Jahr hier drin herumrollen, die hatte Sascha mitgebracht, Zak-Zak kennt man nämlich bei uns nicht. Keine Ahnung, wem die Socken gehören, Rolf besitzt keine grünen, die Tüte mit dem Zwieback sollte man auch mal entsorgen, die Hälfte ist schon rausgekrümelt, und wie kommt überhaupt mein brauner Lederhandschuh hierher? Den vermisste ich seit Oktober, hatte immer geglaubt, ihn auf dem Weinfest verloren … »Du brauchst gar nicht lange zu suchen«, sagte Rolf, »den Kanister habe ich vorhin rausgenommen, damit ich dieses Trumm von Brotbackmaschine besser verstauen konnte.
    Wenn ihn keiner geklaut hat, steht er immer noch zu Hause zwischen den Krokussen.«
    Mir lag so einiges auf der Zunge, was ich gerne losgeworden wäre, aber ich hielt den Mund. Wenigstens so lange, bis ich mein aufkommendes Triumphgeheul unterdrückt hatte. Wer hatte denn mal wieder Recht gehabt? Eine Viertelstunde höchstens hätte uns ein Tankstopp gekostet, und wie viel Zeit verplemperten wir jetzt? Wir könnten schon längst auf der Autobahn sein – na ja, vielleicht noch nicht ganz, aber zumindest auf dem Weg dahin, und jetzt wurde es dunkel, und wir standen immer noch hier rum. »Katja, du hast doch auch ei nen Reservekanister, jetzt kannst du ihn einweihen!
    »Es soll ja schon Autos geben, die mit Rapsöl fahren, aber mit Federweißer? Ich weiß nicht, ob das schon mal jemand ausprobiert hat.«
    »Heißt das, du hast den Wein noch nicht mal umgefüllt?«, fragte ich entsetzt.
    »Nö, warum denn auch? Ich hab kein so großes Gefäß, höchstens die Suppenterrine.« Dann wandte sie sich an Tom.
    »In der Garage steht doch dein alter Kanister, ist da nicht noch was drin?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nicht mehr. Den Rest hat Rainer in seinen Rasenmäher gekippt.«
    »Rasen mähen? Jetzt im März?«
    »Nein, im letzten Sommer.«
    Es kam, wie es kommen musste. Wir zogen gemeinsam wieder nach oben, Katja füllte den immer noch vor sich hingärenden jungen Wein in zwei Kochtöpfe um, reinigte den Kanister mit allem, was ihr angebracht erschien, einschließlich klarem Wasser, Tom zog Schuhe an und ein wärmendes Jäckchen, schnappte sich den noch tropfenden Kanister und zog ab. Während Katja die Kaffeemaschine munitionierte, brabbelte sie leise vor sich hin. Ich verstand zwar nur ein paar Wortfetzen, und die hatten so ähnlich geklungen

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