Menschenskinder
auf.
»Bist du verrückt?!«, zischelte Nicki entsetzt.
»Keine Angst«, winkte Katja ab, »ich würde ihn ja gerne aufklären, aber mein Japanisch lässt eine längere Konversation noch nicht zu. Sayonara.« Fragend sah sie uns an. »Ich hole mir noch ’n Croissant, soll ich jemandem was mitbringen.«
Nein, sollte sie nicht, Frühstücksbuffets sind meistens Attacken auf die Taille. Zu Hause gibt es höchstens mal sonntags ein Ei, frische Brötchen bloß dann, wenn jemand welche geholt hat, sonst kauen wir auf Toast herum, zwei Sorten Konfitüre, ein Rest Honig vom Imker, war aber der falsche, Heideblüten hatte ich gar nicht gewollt, ein paar leicht gewellte Salamischeiben finden sich auch noch, die will aber niemand haben, kriegt später die Katze von nebenan, und wer mag, kann sich sogar ein Joghurt aus dem Kühlschrank holen fettarm natürlich, dafür angereichert mit Fruktose und Guarkernmehl. Was anderes ist nicht da, glücklicherweise auch niemand mehr, der sich daran stört. (Die Gleichgültigkeit angesichts eines nur unzulänglich bestückten Tisches war der letzte Beweis dafür, dass meine Nachkommen ihre Teenagerjahre hinter sich gelassen hatten). Doch dann kommen immer mal wieder Tage, an denen ich unterwegs bin und statt des gewohnt spartanischen Frühstücks ein vier Meter langes, überquellendes Büffet vorfinde. Nichts davon habe ich selber heranholen, zubereiten und aufbauen müssen, ich brauchte keinen Kaffee zu kochen und keine Orangen auszupressen, musste keine sechs Sorten Brötchen gefällig im Korb anordnen, und vor allem brauche ich hinterher nicht den ganzen Kram wieder abzuräumen und die Reste zu verstauen. Stattdessen kommt ein nettes junges Mädchen (zum Frühstücksdienst werden meistens die Azubis herangezogen, das weiß ich aus Saschas Gastronomiezeiten) und erkundigt sich, ob ich Kaffee oder Tee trinken möchte, Kakao könne ich aber auch haben, und Eier gäbe es in wenigen Minuten wieder ganz frisch.
Natürlich warte ich so lange, hole mir nur ein Glas Saft und ein bisschen Obst, dazu ein paar Löffel Müsli wegen der geballten Energiezufuhr, brauche ich auch, muss ja noch fahren, dann kommen die frischen Eier aus der Küche, wachsweich sind sie, deshalb ausnahmsweise noch ein zweites, einmal ist keinmal, und dazu eins von diesen knackfrischen hellen Brötchen statt der so gesunden dunklen mit dem Papageienfutter obendrauf. Und wenn schon sündigen, dann wenigstens gründlich! Seitdem es den Chemikern gelungen ist, Wasser streichfähig zu machen und das Produkt als Halbfettbutter auf den Markt zu bringen, kommt die früher als so gesund gepriesene ›richtige‹ Butter immer mehr in Verruf. Natürlich essen wir auch bloß noch Margarine, zur Zeit die mit dem Emulgator Monoglycerid und dem Konservierungsstoff Kaliumsorbat, aber die Vitamine A und D sind ebenfalls drin, und die sind ja wichtig! Nur – und das muss auch mal gesagt werden! – wem schmeckt dieses Zeug denn wirklich? Mir nicht, aber ich beuge mich der Mehrheit, schmiere zu Hause künstliche Butter aufs Brot und genieße Hotelbuffets, weil es da auch echte gibt.
Nach dem Frühstück wurde Paris besichtigt. Zuerst der Eiffelturm, weil er in der Nähe unseres Hotels lag und zu Fuß erreichbar war. Er hat mich enttäuscht. Bis dato hatte ich ihn nur auf Fotos oder in Filmen gesehen, da hatte er silbern oder auch dunkel geglänzt, aus der Ferne tut er’s immer noch, doch was sich da beim Näherkommen vor mir aufbaute, war ein Koloss aus verrostetem Eisen, unansehnlich braun und keine Spur von Glanz.
»Fahren wir mal rauf?«, kam die zu erwartende Frage.
»Wenn ihr wollt, gerne, aber ohne mich! Mir langt schon der 19. Stock.« Wenn die Mädchen nämlich den fantastischen Blick über die noch im diffusen Morgenlicht liegende Stadt genießen wollten oder das abendliche Lichtermeer, dann mussten sie in das Zimmer der Zwillinge gehen, denn zu Stefanies Bedauern zog ich beim Betreten unseres Zimmers als Erstes die Vorhänge zu.
»Du mit deiner ewigen Höhenangst«, moserte sie denn auch, »nichts machst du mit!«
»Doch, alles! Vorausgesetzt, es spielt sich auf der Erde ab!«
Ein kurzes Abschätzen der Menschenschlange vor dem Kassenhäuschen ergab eine voraussichtliche Wartezeit von mindestens 60 bis maximal 150 Minuten, worauf die Mädchen beschlossen, Paris von noch weiter oben als dem 19. Stockwerk sei bestimmt nicht so interessant wie die Champs Elysées.
Die enttäuschten dann aber auch. Anfangs gab es zwar die
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