Menschensoehne
etwas Brauchbares dabei sein.
»Halldór kam seinerzeit von Reykjavík nach Hvolsvöllur, nachdem er das Studium an der Pädagogischen Hochschule abgeschlossen hatte«, fuhr der ehemalige Schulleiter fort, schaute über Sigurður Óli hinweg und sog gierig den Zigarettenrauch ein. »Er war nicht nur jung und interessiert, sondern er machte auch sonst einen guten Eindruck, so gut, dass wir ihn sogar manchmal zu uns zum Essen eingeladen haben. Er hatte Freude am Unterrichten, und die Kinder mochten ihn gern. Er war sehr um sie bemüht und setzte alles daran, ihr Vertrauen zu gewinnen. Als Neuling hatte er zunächst keinen ganz leichten Stand. Hvolsvöllur ist genau wie jeder andere kleine Ort in Island. Da gibt es bestimmte feste Strukturen und Zugezogene finden nicht so leicht Zugang, auch wenn sie schon einige Jahre im Ort gelebt haben.«
»Ich weiß, was du meinst«, warf Sigurður Óli ein, »ich habe einige Zeit in Akureyri gelebt.«
»Genau«, sagte Guðni. »Wir sind hier vielleicht nicht ganz so schlimm, aber wir bleiben auch gerne unter uns und bringen Neuankömmlingen oft wenig Interesse entgegen, abgesehen davon, dass man sich natürlich die Mäuler über sie zerreißt. In Akureyri äußert sich diese Kleinstadtmentalität in unerträglichen Minderwertigkeitskomplexen, die dann, wie du weißt, mit Größenwahn kompensiert werden. Das wirst du bestimmt kennen gelernt haben. In gewissem Sinne gilt das auch für uns hier. Halldór stammte aus Hella, und man wusste dort nichts Schlechtes über ihn zu berichten. Als er bei mir anfing, erklärte er mir, dass er eine Veränderung brauchte. Ich war sehr froh, denn er war ein guter Lehrer. Damals, genau wie heute, war es schwierig, auf dem Land gut ausgebildete Kollegen zu bekommen. Seit jeher zieht Reykjavík die Leute an, aber in diesen Jahren nach dem Krieg war es besonders schlimm. Ich habe ebenfalls eine Zeit lang mit dem Gedanken gespielt, in die Stadt zu ziehen. Aber wie dem auch sei, deswegen war ein Mann wie Halldór ein Gewinn. Wir hofften damals, dass er hier Wurzeln schlagen würde, und ich glaube, dass er selber auch daran interessiert war.«
»Aber daraus wurde nichts«, warf Sigurður Óli ein.
Guðni schüttelte den Kopf.
»Ich habe jahrzehntelang nicht darüber sprechen können, denn das ist alles andere als einfach. An den Schulen fehlte hinten und vorne Personal, und deswegen übernahmen die Lehrer auch verschiedene andere Aufgaben. Halldór war einige Jahre lang neben dem Unterricht in den allgemeinen Fächern auch für den Sportunterricht zuständig. Alles klappte wunderbar, und die Schüler kamen hervorragend mit ihm aus. Doch dann waren auf einmal Gerüchte in Umlauf, die meiner Meinung nach von einer gewissen Frauenvereinigung hier im Ort ausgegangen waren, die eine ziemlich einflussreiche Rolle im gesellschaftlichen Leben bei uns spielt. Es war nämlich so: Halldór hat sich überhaupt nicht mit Frauen abgegeben, er hat ihnen nicht das geringste Interesse entgegengebracht. Er sah gar nicht so schlecht aus, er wirkte sehr sympathisch, und da gab es schon einige, die ein Auge auf ihn geworfen hatten. Aber er war ganz einfach nicht für so etwas zu haben. Sie luden ihn zu sich nach Hause ein. Wenn er sich bei Tanzveranstaltungen blicken ließ, wurde er so von den Frauen umschwärmt, dass die Männer am Ort schon argwöhnisch wurden, du weißt, was ich meine.«
Sigurður Óli nickte verstehend.
»Es war nämlich nicht nur die unverheiratete Weiblichkeit, verstehst du, die ihn zu umgarnen versuchte. Als er aber überhaupt nicht darauf reagierte und stets und ständig Ausflüchte machte – das ging ein paar Jahre so –, konnte man nur den Schluss ziehen, dass Halldór nichts mit Frauen im Sinn hatte. Und wenn das stimmte, konnte er nur das sein, was man in meiner Jugend einen warmen Bruder nannte. Ich habe in dieser Zeit einige Male mit ihm darüber geredet, also, ich meine natürlich, über die Frauen, ob er nicht vor Anker gehen und sich hier im Dorf niederlassen wollte. Ich fand, dass mir das durchaus zustand, wir waren so etwas wie befreundet. Aber auf dieses Thema wollte er nie eingehen. Faselte nur so was daher, dass er noch nicht bereit sei, ein Heim und eine Familie zu gründen. Er versicherte mir, dass ich mir seinetwegen keine Gedanken zu machen bräuchte. Ich gab mich damit zufrieden, warnte ihn aber, dass er eine ideale Zielscheibe für Klatsch böte, was er sich aber nicht zu Herzen nehmen dürfe. So etwas sei nur
Weitere Kostenlose Bücher