Menschensoehne
unterrichtet und weswegen er dort aufgehört hätte. Ich kann mich erinnern, der Mann klang ziemlich unverschämt am Telefon und hatte einen so rüden Ton am Leib, dass es schon fast an Unhöflichkeit grenzte. Er wollte diverse Auskünfte über Halldór. Weil ich davon ausging, dass er von einer Behörde war, habe ich ihm genau erzählt, was hier vorgefallen ist, aber später habe ich es bereut.«
»Wieso?«
»Ich wusste überhaupt nicht, mit wem ich da sprach. Als er das, was er wissen wollte, in Erfahrung gebracht hatte, legte er auf. Ich kam gar nicht dazu, ihn zu fragen, wer er war und in wessen Auftrag er anrief. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass es genau seine Absicht war, das nicht preiszugeben.«
Bevor Sigurður Óli losfuhr, wählte er Erlendurs Handynummer. Er war sich gar nicht bewusst, wie spät es war. Im Hauptquartier der Kriminalpolizei in Kópavogur hatte gerade die Pressekonferenz begonnen, als Erlendurs Handy in seiner Tasche klingelte. Er hatte vergessen, es auszustellen. Der Polizeidirektor sagte gerade ein paar einleitende Worte, um im Anschluss daran Erlendur das Wort zu übergeben, der sich den Fragen der Journalisten stellen sollte. Er verstummte mittendrin. Der Konferenzraum war bis zum letzten Platz gefüllt mit Journalisten, Fernsehreportern, Kameraleuten und Fotografen. Ihre Aufmerksamkeit galt in erster Linie Erlendur, und sie waren gespannt auf seine Reaktion, ob er den Anruf annehmen oder das Handy abschalten würde. Man hörte nur das leise Surren der Kameras und das Klicken der Fotoapparate, als er das Handy herauszog und ans Ohr hob.
»Ja«, sagte er, schaute vor sich auf den Tisch und versuchte, sich nicht das Geringste anmerken zu lassen. Natürlich hätte er nicht antworten dürfen, sondern das Handy ausschalten sollen. Er erkannte die Stimme sofort.
»Halldór war Päderast«, sagte Sigurður Óli und ließ den Motor an.
Erlendur nickte und stellte das Handy ab. In den Abendnachrichten der isländischen Fernsehsender konnte man sehen, wie er das Telefon weglegte und wieder in die Runde blickte, als sei nichts vorgefallen.
Siebzehn
Zur gleichen Zeit, als Sigurður Óli den Jeep startete, ging Helena zu Boden.
Der Mann, der behauptet hatte, vom Notdienst zu sein, hatte sie mit einem wuchtigen Hieb niedergestreckt. Sie hatte den Mann nie zuvor gesehen. Da sie nie einen der Leute vom Notdienst zu Gesicht bekommen hatte, war sie so froh, als sie den Mann in der blauen Latzhose sah, dass sie sämtliche Vorsichtsmaßregeln außer Acht ließ. Er hatte bei ihr geklingelt und etwas Unverständliches an der Tür gemurmelt. Helena hörte nicht, was er sagte, und sein Gesicht war kaum zu erkennen. Sie löste die Sicherheitskette, drehte sich um und ging ins Wohnzimmer. Sie begann, ihm Vorwürfe zu machen, wie nachlässig er sich um die Bedürfnisse und Probleme der Menschen kümmerte. Sie und die anderen Leute auf ihrer Etage hätten so oft versucht, ihn zu erreichen, und sie hatten Nachrichten hinterlassen. Als sie sich wieder zu ihm umwandte, hatte der Mann die Tür zugeschlagen, kam mit hoch erhobenem Knüppel in der Hand auf sie zu und versetzte ihr einen Hieb auf den Kopf. Sie verlor das Bewusstsein und brach zusammen.
Erlendur bekam die Meldung um die Abendessenszeit. Alles, was derzeit in Reykjavík oder anderorts in Island an kriminellen Delikten passierte, musste gemäß den Weisungen ihm oder seinen Mitarbeitern gemeldet werden. Der für Einbruchsdelikte zuständige Kollege hatte den Überfall auf Helena sofort weitergeleitet. Für Erlendur bestand vom ersten Moment an kein Zweifel daran, dass hier eine Verbindung zum Mord an Halldór bestand. Ein Mädchen, das unerlaubterweise getrockneten Fisch im Altersheim verkaufte, hatte die Tür nur angelehnt vorgefunden und in die Wohnung hineingerufen. Als keine Antwort kam, hatte sie die Tür aufgestoßen und den Kopf hineingesteckt, aber erst, als sie in die Diele eingetreten war, sah sie Helena auf dem Boden liegen. Daneben ein großer dunkler Fleck vom Blut aus einer Wunde am Kopf. In der Wohnung herrschte das totale Chaos.
Jetzt wartete das Mädchen auf dem Korridor und war erstaunlich gefasst. Nachdem sie Helena gefunden hatte, war sie wie hypnotisiert zum nächsten Appartement gegangen und hatte die Polizei angerufen. Sämtliche verfügbaren Mitarbeiter waren zur Stelle.
Helena war in die Unfallklinik eingeliefert worden und war immer noch ohne Bewusstsein. Schwer zu sagen, ob sie überleben würde.
Das kleine
Weitere Kostenlose Bücher