Menschensoehne
Erlendur schließlich das Schweigen.
»Ich glaube, wir müssen uns mit den früheren Klassenkameraden unterhalten«, sagte Elínborg, »um herauszufinden, was da eigentlich los war und wieso Halldór sie manipuliert hat. Vielleicht wissen ja noch einige andere etwas über diese … Lebertrankapseln.«
»Wenn sie keinen Lebertran enthielten, was dann?«, fragte Sigurður Óli.
»Genau«, sagte Pálmi. »Was dann?«
»Meinst du, dass ihnen irgendetwas ohne ihr Wissen verabreicht worden ist?«, fragte Elínborg.
»Ich denke an Betäubungsmittel«, erklärte Sigurður Óli. »Halldór hat die Jungen betäubt und dann an ihnen herumgemacht. Der Mann war an Perversität nicht zu überbieten.«
Er versuchte, sich das vorzustellen, und blickte in die Runde.
»Verdammt noch mal, das ist ja grauenhaft«, sagte Einar.
»Vielleicht hat einer aus der Klasse, möglicherweise sogar dieser Sigmar, sich nach all den Jahren aufgemacht und sich für das gerächt, was Halldór ihnen angetan hat«, sagte Erlendur. »Aber das sind nur Vermutungen. Das will alles erst mal bewiesen sein. Auch wenn er sich in Hvolsvöllur an kleinen Jungen vergangen und Helena gegenüber etwas zugegeben hat, wissen wir nicht, wie zuverlässig diese Informationen sind. Das müssen wir herausfinden.«
»Der ehemalige Schulleiter in Hvolsvöllur hat mich vor dem Zorn gewarnt, der in den Eltern solcher missbrauchten Kinder schwelt. Falls es in der Víðigerði-Schule um sexuellen Missbrauch geht, müssen wir unser Augenmerk auch auf die Eltern dieser Kinder richten«, sagte Sigurður Óli. »Seltsam finde ich nur, dass das erst jetzt ans Tageslicht kommt. Die Kinder haben es die ganzen Jahre über verschwiegen, das ist gelinde gesagt ganz schön seltsam. Hat Daníel jemals mit dir darüber gesprochen?«, fragte er Pálmi.
»Nie. Aber Daníel und ich hatten kein besonderes Verhältnis zueinander, und ich kannte ihn eigentlich nur als kranken Menschen.«
»Ich wollte euch noch sagen«, warf Einar ein, »was die Recherchen bei den Tankstellen ergeben haben. Sie haben endlich einen Tankwart bei der BP-Tankstelle an der Skúlagata ausfindig gemacht. Er konnte sich an einen Mann erinnern, der Halldór aufs Haar glich und der sich Benzin in einen Zehnliterkanister füllen ließ. Das ist mehr als einen Monat her. Der Tankwart war ziemlich sicher, dass es Halldór gewesen ist.«
»Halldór hat dann den Kanister bei sich zu Hause aufbewahrt, und sein Mörder hat sich das zunutze gemacht«, sagte Sigurður Óli.
»Wieso hat Halldór Benzin gekauft?«, fragte Elínborg. »Er hatte doch kein Auto. Und zehn Liter sind ein bisschen viel für beispielsweise ein Feuerzeug.«
»Dieser Fall wird immer merkwürdiger«, erklärte Þórólfur und kratzte sich am Kopf.
»Lassen wir es für heute genug sein«, sagte Erlendur. »Wir haben einige Hinweise, denen wir nachgehen müssen. Die Kinder aus Halldórs letzter Klasse stehen zwar noch unter Verdacht, aber wir müssen auch die früheren Jahrgänge unter die Lupe nehmen, vor allem Daníels Klasse. Wir müssen mit den Eltern reden. Es ist natürlich unwahrscheinlich, dass wir das machen können, ohne dass sich herumspricht, um was es geht, aber ich möchte euch bitten, die Sache sehr, sehr vorsichtig anzugehen und unter gar keinen Umständen die Presse mit einzubeziehen. Das sollte man auch den Eltern einschärfen, denn es ist beim gegenwärtigen Stand der Dinge unerhört wichtig.«
Kaum hatte er das gesagt, da begann sein Handy in der Jackentasche zu klingeln. Er nahm das Gespräch an und lauschte eine ganze Weile, ohne ein Wort zu sagen. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Schließlich erklärte er, das weder bestätigen noch entkräften zu können und verneinte einige Male ganz entschieden, bevor er sich bedankte und das Gespräch beendete.
»Morgen steht es in der Zeitung«, sagte er.
»Was?«, fragte Sigurður Óli.
»Dass Halldór ein Kinderschänder gewesen ist.«
Zwanzig
Ein Mann, der früher in Hvolsvöllur gelebt hatte und seinen Namen nicht nennen wollte, hatte sich mit der Zeitung in Verbindung gesetzt und sie davon in Kenntnis gesetzt, was seinerzeit in Hvolsvöllur vorgefallen war, als Halldór dort an der Volks-und Mittelschule unterrichtet hatte. Er hatte sich an den Jungen in der Schule sexuell vergangen und war gefeuert worden.
Pálmi saß am Küchentisch und las den Artikel noch einmal.
Vieles deutet darauf hin, dass der Volksschullehrer Halldór Svavarsson, der am Abend des 16. Januar in
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