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Menschensoehne

Menschensoehne

Titel: Menschensoehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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dass Guðrún irgendwas bereute. Und das ist außerdem auch völlig nebensächlich. Wir haben große Dinge vor. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Guðrún jetzt umfallen wird. Wir unterstützen sie ja schließlich recht großzügig. Ich gehe davon aus, dass sie nicht auf all das verzichten möchte.«
    »Glaubst du, dass diese Kassetten auf irgendeine Weise der Polizei in die Hände fallen könnten?«
    »Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Die isländische Polizei steht nicht in dem Ruf, besonders auf Zack zu sein.« »Unwahrscheinlich heißt aber nicht ausgeschlossen. Du musst diese Kassetten unbedingt sicherstellen, falls sie tatsächlich existieren. Es genügt nicht, zu hoffen, dass Halldór nur leere Drohungen geäußert hat.«
    Sie brachen das Gespräch ab.
    Auf der anderen Seite der Mauer, die das große Haus umgab, befand sich ein kleines Wäldchen. Die Überwachungskameras reichten aber nicht so weit, da sie nur auf die unmittelbare Umgebung eingestellt waren. Innerhalb dieser Schutzanlage gab es jedoch keinen Zentimeter, der nicht von den drei Sicherheitsbeauftragten überwacht wurde, die sich rund um die Uhr im Schichtdienst ablösten und in einem kleinen Pavillon im Garten untergebracht waren. Das kleine Wäldchen befand sich im Niemandsland. Dort stand ein Mann und beobachtete das große Haus und den Sicherheitswall, der viele Hektar Land umschloss. Er pfiff leise durch die Zähne angesichts des Reichtums, der in einem Monumentalbau wie diesem steckte. Der Mann trug einen grünen Parka, blaue Jeans und Turnschuhe. Er hätte sich liebend gern eine Zigarette angezündet, aber das durfte er nicht. Nicht jetzt.
    Er stand lange da und betrachtete das Haus. Ihm fielen Zeilen aus einem Gedicht ein, das er vor langer Zeit einmal auswendig gelernt hatte:
    Und die Sternenstunde des Ruhms
zuckt wie ein Blitz durch die Nacht,
vergangene Zeiten erstrahlen.
    Dann verstummte er plötzlich und lauschte. Es war sich nicht ganz sicher. Es konnte zwar auch der Laut eines Vogels unten am Strand sein, aber er glaubte, ein Kind weinen zu hören.

Neunundzwanzig
    Mittags ging Pálmi mit den drei Abholbescheiden, die er tags zuvor bekommen hatte, zum Postamt. Wie erwartet bekam er drei große braune Umschläge ausgehändigt. Zwei enthielten Bücher, aber der dritte Umschlag war wesentlich leichter als die beiden anderen. Die Schrift auf dem Umschlag kam ihm nicht bekannt vor. Trotzdem maß er der Sendung keine besondere Bedeutung bei, denn alle möglichen Leute aus allen Landesteilen setzten sich aus geschäftlichen Gründen mit ihm in Verbindung und schickten ihm manchmal Manuskripte oder sogar die private Korrespondenz ihrer Vorfahren per Einschreiben zu, in der schwachen Hoffnung, dass sich das Zeug, das sie in der Rumpelkammer oder auf dem Dachboden gefunden hatten, zu Geld machen ließ.
    Im Antiquariat herrschte an diesem Tag reger Kundenverkehr, und er war vollauf damit beschäftigt, zu bedienen. Der Laden hatte Stammkunden, aber an diesem Tag erschienen auf einmal viele neue Interessenten, die auf der Suche nach einem besonderen Fund in den Bücherkästen stöberten und ihre Blicke aufmerksam über die Regalreihen schweifen ließen. Pálmi hatte sich auf Bücher spezialisiert, und deswegen führte er keine anderen Dinge. Er handelte nicht mit Videos, Schallplatten oder CDs. Sein Kundenkreis war entsprechend begrenzt, und die meisten seiner Stammkunden kannten sich untereinander. Sie diskutierten häufig mit Pálmi über antiquarische Bücher, denn er wusste hervorragend Bescheid. Bücher waren sein Ein und Alles.
    Kurz vor Ladenschluss war es etwas ruhiger geworden. Zwei Kriminalbeamte trafen ein, um ein Protokoll seiner Aussagen anzufertigen. Er kannte sie nicht, aber sie erklärten, Informationen über den Verbleib der Schüler aus der 6 L zu sammeln. Pálmi nickte und teilte ihnen in groben Zügen das mit, was es über Daníel zu sagen gab.
    Die Umschläge nahm er ungeöffnet mit nach Hause. Das Abendessen, das er sich zubereitete, war bescheiden. Später am Abend kam Dagný mit den Kindern vorbei und lud ihn ein, herüberzukommen und sich einen amerikanischen Spielfilm im Fernsehen anzuschauen. Als er schließlich in seine Wohnung zurückkehrte, war es schon fast Mitternacht. Anstatt ins Bett zu gehen, öffnete er die Briefe.
    Im ersten Umschlag war eine Anthologie mit Kurzgeschichten isländischer Autoren, 1902 in Akureyri herausgegeben. Der Einband war stark beschädigt, was bei den alten Büchern, die Pálmi

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