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Menschenteufel

Menschenteufel

Titel: Menschenteufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Raffelsberger
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fügten noch Aellopus dazu. Sie waren
schnell wie der Wind. Darüber waren sich die Alten einig. Ebenso wie über ihre
Abstammung von der Okeanide Elektra und dem Meerestitan Thaumas. Die weiteren
Verwandtschaftsverhältnisse zeigten die typisch altgriechische Schlamperei.
Schwester der Harpyien war die Göttin des Regenbogens Iris und die wiederum
Gattin des Westwinds Zephir. Dieser nahm es mit der Treue allerdings nicht so
genau und zeugte mit seiner Schwägerin Podarse die Pferde des Achilles. Damals
war sie wohl noch die schöne Frau mit den langen Haaren. Wie aus einer Frau mit
Flügeln und einem Wind Pferde werden, blieb Freund ein Rätsel. Hier schloss
sich der Kreis. Achilles nämlich war eigentlich ein Onkel der Harpyien, weil seine
Mutter Thetis auch jene der Okeanide Elektra war. Wenn man so wollte, war
Achilles also mit seinen Pferden weitläufig verwandt.
    In einem Griechenlandurlaub vor vielen Jahren hatte Freund die
klassischen Sagen des Altertums verschlungen. Ihm war, als spürte er den
sanften Wind und den heißen Sand wieder, röche das Meer und die Olivenbäume,
hörte das Gebimmel der Ziegenherden.
    Laut der alten Geschichten erfüllten die Harpyien verschiedene
Aufgaben: Auf Befehl des Zeus mussten sie die Seelen der Toten in den Tartarus
tragen und Menschen morden, die den Obergott erzürnten. Den blinden König
Phineus sollten sie durch Mundraub töten, ließen ihm aber immer genug übrig.
Erlöst wurde er von Jason und den Argonauten. Freund erinnerte sich: der mit
dem goldenen Vlies. Obwohl die Harpyien als unverwundbar galten, tötete
Herakles die Podarse. In Ovids Metamorphosen gehörte die Harpyie Alce zu den
Hunden des Aktaion, die ihn schließlich zerrissen. Bis in die Gegenwart fand
die Harpyie Verwendung in Erzählungen. Bei Dante Alighieri etwa bewachten sie
die in Bäume und Sträucher verwandelten Sünder im siebten Kreis der Hölle.
    Interpretationsmöglichkeiten für die Inszenierung fanden sich genug.
    Sein Telefon.
    »Ja?«
    »Roman Wuster, der Sohn des ersten Opfers, ist angekommen.«

Mit Blut geschrieben
    »Sie erkennen mich am Dackel.«
    Petzolds Blick schweifte durch den Gastgarten. Nur durch einen
hölzernen Jägerzaun vom Gehsteig getrennt, lag er neben einem alten Haus, das
sich zwischen hohen Neubauten und einer Feuermauer duckte. Reste einer
vergangenen Epoche des zwanzigsten Bezirks. Im Schatten alter Kastanienbäume
warteten verwitterte Holztische und -stühle. An einem unterhielt sich eine
Gruppe junger Leute. Die anderen waren leer. Petzold wollte sich schon einen
davon aussuchen, da entdeckte sie den kleinen direkt an der Hausmauer.
    Vor dem alten Mann mit kariertem Hut stand ein volles Glas. Daneben
lag die Tageszeitung. Zu seinen Füßen hatte ein Dackel seinen Kopf auf die
Pfoten gelegt und hob lediglich die Augenbrauen, als er zu Petzold hochsah.
    »Emil Schmöger?«
    Nach Doreens Anruf hatte sie in alten Polizeiunterlagen
recherchiert. Emil Schmöger war unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in den
Dienst getreten und dort bis zur Pensionierung geblieben. Er war weit über
achtzig Jahre alt.
    Schmöger erhob sich, nahm den Hut ab und reichte ihr eine knorrige
Hand.
    »Setzen Sie sich, Inspektor Petzold.« Der Dackel beschnüffelte ihre
Füße und Waden. »Platz, Dacki!«
    Petzold ließ sich gegenüber nieder. Unter dem Stuhl knirschte der
Kies. »Dacki?«
    »Ich konnte mich damals für keinen Namen entscheiden«, erklärte
Schmöger und legte seinen Hut auf den verbleibenden Stuhl. »Daher nannte ich
ihn zuerst nur ›Dackel‹, weil er ja einer ist, und daraus wurde mit der Zeit
›Dacki‹, weil das netter klingt.«
    Er beugte sich hinunter und kraulte dem Tier den Kopf. Dacki dankte
es mit Schwanzwedeln.
    »Danke, dass Sie sich so kurzfristig mit mir treffen konnten.«
    Das nächtliche Gewitter hatte die schlimmste Hitze fortgeblasen.
Warm genug war es trotzdem. Schmöger trug dennoch ein dunkles Sakko über dem
fein genetzten, cremefarbenen Hemd, wie Petzold es von Fotos ihrer Großeltern
aus den sechziger Jahren kannte. Daraus wuchs ein faltiger Hals, der einen
ebenso zerfurchten Kopf mit der großporigen, teigigen Haut des Rauchers trug.
    »Die Tage eines pensionierten Beamten sind lang«, erwiderte er. »Ein
bisschen Abwechslung kommt da gerade recht.«
    Von ihren Großeltern kannte Petzold das anders. Kegelclub,
Tarockrunde, Petzolds Nichten und Neffen, Ausflüge, Reisen, der Garten, Omas
Volkshochschulkurse, Gymnastikstunden und hunderttausend

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