Menschenteufel
andere Aktivitäten
ließen den beiden kaum mehr Zeit, seit Opa in Rente gegangen war.
Schmöger schlug die Zeitung auf und legte seinen Finger mit dem
längs gerillten Nagel auf Colin Shorts Bild.
»Als ich das heute früh sah und las, musste ich natürlich sofort
anrufen. Umso erfreulicher ist, dass ich so eine reizende Gesprächspartnerin
bekommen habe. Zu meiner Zeit gab es keine Frauen bei der Polizei, außer als
Schreibkräfte. Aber damals war sowieso noch alles anders. Die Verbrecher waren
auf ihre Art Ehrenmänner, und man konnte als Polizist mit ihnen reden. Da wurde
eine Revierstreitigkeit schon einmal bei ein paar Gläsern Wein bereinigt, und
man hat sich eine Schießerei gespart. Na ja, natürlich hat es die meisten
irgendwann dann doch erwischt. Und natürlich waren da auch schwere Kaliber
dabei, mit denen war nicht zu spaßen, der Krista, der Berger, der Stanka, der
Karrer, das waren brutale Hund’, der Mzik, der ist ja dann zum Glück irgendwann
nach Deutschland … aber das war alles schon später, in den fünfziger, sechziger
und siebziger Jahren …«
Ein Kellner kam, und Petzold bestellte Hollersaft. Wenn sie Schmöger
nicht bremste, saß sie die nächsten drei Tage und Nächte da und kannte danach
sein Leben auswendig.
»Unsere Geschichte spielt wahrscheinlich noch früher«, versuchte sie
eine elegante Überleitung.
Schmöger schob die Zeitung mitten auf den Tisch.
»Da haben Sie recht. Und sie handelt von dem da«, kam er
überraschend schnell zum Thema.
Der Rillennagel am Gesicht des schwarzen Soldaten. »Das war eine
komische Sache damals. Es muss 1948 gewesen sein. Ich war seit drei Jahren bei
der Polizei. Sie müssen sich das so vorstellen, dass wir ja die offiziellen
Ordnungshüter waren, aber die Amerikaner, Russen, Engländer und Franzosen haben
sich immer eingemischt. Vor allem, wenn es um einen von ihnen ging. Da waren ja
nicht nur Herzerln unterwegs. Besonders in den ersten Jahren kam es immer
wieder zu Plünderungen und Vergewaltigungen, und auch wenn das natürlich
offiziell verboten war und bestraft wurde, sind längst nicht alle Fälle
geahndet worden, und viele haben sich nicht getraut, sie anzuzeigen. Es kam
ganz darauf an, an welche Offiziere man geriet. Manche waren Ehrenmänner und
haben die Fälle verfolgt und ihre Männer festnehmen und verurteilen lassen.
Andere haben alles unter den Teppich gekehrt …«
Schwacher Wind rauschte durch das Kastanienlaub. Verstohlen schielte
Petzold um sich. Noch wollte sie Schmöger nicht beleidigen mit der Bitte, auf
den Punkt zu kommen. Ihr Unwohlsein rührte aber nicht vom Geschwätz des Alten
her. Irgendetwas saß ihr im Nacken, als würde sie verfolgt, wie schon letztens
nach dem Besuch bei den Stiks. Beiläufig strich sie ihr Haar zurück und wendete
dabei den Kopf zur Seite. Entdecken konnte sie niemanden. Sie wandte sich
wieder Schmöger zu, der seine Schilderungen unbeirrt fortgesetzt hatte.
»… auf jeden Fall bekamen wir Österreicher nur Informationen,
die man uns geben wollte. Und in diesem speziellen Fall waren das nicht viele.
Ich war damit nur am Rande befasst, den Rest habe ich dann von Kollegen
erfahren. Der Mord an einem Mitglied der Besatzungstruppen hat natürlich für
Aufsehen und Unruhe unter den Ermittlern gesorgt. In der Öffentlichkeit wurde
darüber aber praktisch nicht berichtet. Die Zensur hielt den Fall aus den
Zeitungen. Selbst die stille Post konnte ziemlich unterdrückt werden. Wer sich
nicht daran hielt, wurde nachdrücklich um Schweigen gebeten …«
»Der Soldat wurde umgebracht?«, unterbrach Petzold den Redefluss.
»Ja, ja. Das sagte ich ja gerade …«
»Darum geht es also? Um Mord? Und das erzählen Sie mir so nebenbei?«
»Ich wollte ja gerade dazu kommen …«
»Gut, gut, reden Sie weiter. Wie hieß der Mann?«
»Das weiß ich nicht mehr so genau. Es war so ähnlich wie ›Thomas‹,
›Tommins‹, der Vorname war auch komisch, irgendwas mit A am Anfang, aber nicht
›Albert‹ … vielleicht finden Sie noch was im Archiv.«
Gedankenverloren kramte er in seiner Jacketttasche und zog eine
Zigarettenpackung hervor. »Er wurde erschossen in einer Bombenruine im neunten
Bezirk gefunden.«
Er schüttelte einen Glimmstängel aus dem Päckchen und brach den
Filter ab. Sorgfältig presste er die überstehenden Tabakfasern zurück unter das
Papier. »Die Wiener haben natürlich sofort die Amerikaner verständigt. Die
haben die Untersuchungen übernommen. Herausgekommen ist dabei aber
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