Menschliche Kommunikation
der Ellipse, und seine Welt bricht zusammen, wenn der Versuchsleiter diesen Sinn plötzlich zerstött. Wenn wir unsere eigenen Erlebnisse in vergleichbaren Situationen prüfen, zeigt sich,
dass wir dazu neigen, das Tun eines geheimen Versuchsleiter hinter den Wechselfällen unseres Lebens zu vermuten. Der Verlust
oder das Fehlen eines Lebenssinns ist vielleicht der allgemeinste
Nenner aller Formen von Gemütsstörungen; Schmerz, Krankheit, Verlust, Misserfolg, Verzweiflung, Enttäuschung, Todesfurcht oder bloße Langweile - sie alle führen zu der Überzeugung, dass das Leben sinnlos ist. Existenzielle Verzweiflung ist
der schmerzhafte Zwiespalt zwischen dem, was ist, und dem, was
sein sollte, d. h. zwischen unseren Wahrnehmungen und unseren
Prämissen dritter Ordnung.
8.6 Änderung von Prämissen dritter Ordnung
Es besteht kein Grund, nur drei Stufen der menschlichen Wirklichkeitswahrnehmung zu postulieren. Zumindest theoretisch
folgt Stufe auf Stufe in unendlicher Ordnung. Änderungen von
Prämissen dritter Ordnung - unserer Ansicht nach das wesentliche Anliegen der Psychotherapie - können nur von der vierten
Stufe aus erfolgen. Wir bezweifeln aber, dass der menschliche
Geist Abstraktionen höherer Ordnung ohne Hilfe von mathematischer Symbolik oder von Elektronenrechnern erfassen kann. Es
scheint bedeutsam, dass nur kurze Augenblicke der Erkenntnis
auf der vierten Stufe möglich sind und diese nur sehr schwer,
wenn überhaupt, in Worte gekleidet werden können. Der Leser
dürfte sich daran erinnern, wie schwer es bereits war, den Sinn
des Satzes «Die Klasse aller Klassen, die sich nicht selbst als Element enthalten» (vgl. Abschnitt 6.2) zu erfassen, dessen Komplexität aber nur der einer Prämisse dritter Ordnung entspricht. In
ähnlicher Weise ist es noch möglich, der Bedeutung von «So sehe
ich, dass du dich von mir gesehen siehst» gedanklich zu folgen
(vgl. Abschnitt 3.34), während die nächste (vierte) Stufe («So sehe
ich, dass du siehst, dass ich mich von dir gesehen sehe») gedanklich bereits kaum fassbar ist - womit keineswegs gesagt sein soll,
dass unsere Beziehungen nicht davon beeinflusst weiden.
Um diesen wichtigen Punkt nochmals zu wiederholen: Kornmunikationen oder sogar Denken über Prämissen dritter Ordnung sind nur von der vierten Stufe aus möglich, so wie in der
Theorie der Sprachstufen Aussagen über eine Sprache nur von
der nächsthöheren Stufe, also in der Metasprache, gemacht werden können. Die vierte Stufe aber liegt anscheinend bereits sehr
nahe an den Grenzen menschlichen Erfassens, und Bewusstsein
auf dieser Stufe besteht selten, wenn überhaupt. Dies scheint uns
der Bereich der Intuition und der Empathie zu sein, des «Aha»Erlebnisses und vielleicht der unmittelbaren Wahrnehmungen,
die gewisse Durchbruchserlebnisse vermitteln; und es ist sicherlich die Stufe, von der therapeutischer Wandel ausgeht, ein Wan del, von dem man später nicht sagen kann, wie und warum er
zustande kam und worin er eigentlich besteht. Denn die Psychotherapie beschäftigt sich mit Prämissen dritter Ordnung und der
Herbeiführung von Änderungen auf jener Stufe. Doch jede
Änderung dieser Prämissen, jedes Gewahrwerden der Strukturen
des eigenen Verhaltens und des Verhaltens der Umwelt ist nur
von der Warte der nächsthöheren, der vierten Stufe, möglich. Nur
von dort aus wird die Erkenntnis möglich, dass die Wirklichkeit
nicht ein objektives, unabänderliches «Außen» ist, mit einer
wohlwollenden oder unheilvollen Bedeutung für unser Überleben, sondern dass die Wirklichkeit praktisch gleichbedeutend ist
mit unserem subjektiven Erleben der Existenz, dass Wirklichkeit
die Struktur ist, die wir der Welt auferlegen.
8.61 Hierarchien der von uns besprochenen Art sind bisher am
ausführlichsten in einem Zweig der Mathematik untersucht worden, mit dem unsere Überlegungen eng verwandt sind, wenngleich
freilich die Ableitungen der Mathematiker von ungleich strengerer Folgerichtigkeit sind, als wir je zu erreichen hoffen können.
Dieser Zweig ist die Beweistheorie oder Metamathematik. Wie
schon in Abschnitt 1.5 erwähnt, handelt dieses Gebiet der Mathematik von sich selbst, d. h. von den Gesetzen, die der Mathematik
innewohnen, und von der Frage, ob diese widerspruchsfrei sind
oder nicht. Es ist daher nicht überraschend, dass Metamathematiker die paradoxen Folgerungen von Selbstrückbezüglichkeit
schon erkannt und untersucht hatten, bevor die moderne
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