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Menschliche Kommunikation

Menschliche Kommunikation

Titel: Menschliche Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Watzlawick
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den Handlungen der Versuchsperson gegeben, und zwar mit langsam zunehmender Häufigkeit. Dabei zeigt sich, dass unter diesen Umständen jede Versuchsperson sehr rasch Ansichten über die Situation bildet, die unserem
Begriff der Prämissen dritter Ordnung gleichkommen, und dass
sie dieselben nur höchst zögernd aufgibt, wenn es ihr zum Schluss
des Experiments bewiesen wird, dass die Reihenfolge des Drückens der Tasten keinerlei Einfluss auf das Ertönen des Summers
hatte. In gewisser Weise ist das Experiment also ein Miniaturmodell des Universums, in dem wir alle, jeder für sich, unsere
Prämissen dritter Ordnung, unser «In-der-Welt-Sein» entwickelt
haben.

    8.5 Sinn und Nichts
    Wenn man nun die Fähigkeit des Menschen, Änderungen zu ertragen, auf der zweiten und der dritten Stufe vergleicht, so ergibt sich ein erstaunlicher Unterschied. Wir Menschen besitzen eine fast unglaubliche Fähigkeit, uns Änderungen auf der zweiten Stufe anzupassen, wie wohl jeder zugeben wird, der je beobachten konnte, wie viel ein Mensch unter den schwierigsren Umständen zu ertragen imstande ist. Es scheint jedoch, dass dies nur so lange möglich ist, als unsere Prämissen dritter Ordnung gültig bleiben.'

    Nietzsche muss das gemeint haben, als er sagte, dass, wer ein
Warum zum Leben hat, fast jedes Wie erträgt. Umgekehrt aber
zeigt der Mensch eine ganz erstaunliche Unfähigkeit, mit den
Widersprüchlichkeiten fertig zu werden, die seine Prämissen
dritter Ordnung bedrohen. Er kann, psychologisch gesehen,
nicht in einer Welt überleben, die für ihn sinnlos ist. Wie wir
bereits sahen, haben Doppelbindungen diese unheilvolle Wirkung; dasselbe Ergebnis kann sich aber auch durch Umstände
und Entwicklungen ergeben, die jenseits menschlicher Macht
oder Absicht liegen. Existenzielle Schriftsteller, von Dostojewski
bis Camus, haben dieses Thema ausführlich behandelt, das mindestens so alt ist wie das Buch Hiob. Kirillov z. B., eine der
Gestalten in Dostojewskis Dämonen, ist zu der Auffassung
gekommen, dass Gott nicht existiert, und sieht daher keinen
Grund, weiterzuleben:
    «... Höre», sagte Kirillov, blieb stehen und starrte mit unbeweglichem,
verzücktem Blick vor sich hin; «höre einen großen Gedanken: es gab auf
Erden einen Tag, und in der Mitte der Erde standen drei Kreuze. Einer
der ans Kreuz Geschlagenen glaubte so fest, dass er zum andern sagte:
. Der Tag ging zu Ende,
beide starben, und dann fanden sie weder das Paradies noch eine Auferstehung. Es bewahrheitete sich nicht, was jener prophezeit hatte. So höre
denn: dieser Mensch war der höchste auf der ganzen Erde, er stellte das
dar, wozu sie lebt. Der ganze Planet, mit allem, was darauf ist, ist ohne
diesen Menschen ein einziger Wahnsinn. Weder vor noch nach ihm hat es
einen gegeben, der ihm gleich gewesen wäre; niemals, es ist geradezu ein
Wunder. Darin besteht eben das Wunder, dass es niemals einen gleichen
gegeben hat noch geben wird. Wenn dem aber so ist, wenn die Gesetze
der Natur auch Diesen, auch ihr eigenes Wunderwerk nicht verschont
haben, wenn sie vielmehr auch ihn zwangen, inmitten der Lüge zu leben
und einer Lüge wegen zu sterben, so muss der ganze Planet eine Lüge
sein und auf Lüge und auf dummem Spott und Hohn beruhen. Somit
sind die Gesetze selbst, denen der Planet untersteht, nichts als Lüge und
ein teuflischer Vaudeville. Wofür also leben? Antworte mir, wenn du ein
Mensch bist.»
    Und Dostojewski lässt Kirillovs Gesprächspartner die überraschende Antwort geben:

    «So bekommt die Sache ein ganz anderes Aussehen. Mir scheint, Sie
haben da zwei verschiedene Ursachen miteinander vermischt; das ergibt
aber ein sehr unverlässliches Resultat» [35, S. 901 f.].
    Wenn immer dieses Thema zur Sprache kommt, ist unserer Ansicht nach die Frage nach dem Sinn gestellt, und «Sinn» ist hier
nicht in seiner semantischen, sondern seiner existenziellen Bedeutung zu verstehen. Die Abwesenheit von Sinn ist der Schrecken
des existenziellen Nichts. Es ist jener subjektive Zustand, in dem
die Wirklichkeit zurückzuweichen oder sich ganz aufzulösen
scheint. Für Gabriel Marcel ist «das Leben ein Kampf gegen das
Nichts».
    In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Stellung des Menschen gegenüber seinem rätselhaften existenziellen Partner nicht
wesentlich von jener, die Pawlows Hund dem Versuchsleiter
gegenüber hat. Der Hund erlernt sehr rasch den Sinn des Kreises
und

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