Menschliche Kommunikation
Zivilisationen die Probleme des biologischen Überlebens weit in den
Hintergrund gerückt sind und die Umwelt im ökologischen Sinn
weitgehend vom Menschen beherrscht wird, haben sich die
lebenswichtigen Signale, die ein Mensch von seiner Umwelt
erhält und richtig entschlüsseln muss, lediglich vom Biologischen
auf das Psychologische hin verschoben.
8.3 Die Hypostasierung der Wirklichkeit
Wir Menschen scheinen eine tief wurzelnde Neigung zu besitzen,
die Wirklichkeit zu hypostasieren, d.h., sie als einen Freund oder
Gegner zu betrachten, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. In Zilboorgs klassischer Studie über den Selbstmord findet sich
folgender mit unserem Thema verwandter Gedanke:
... Es hat den Anschein, dass der Mensch dem Leben ursprünglich seine
eigenen Bedingungen stellte: Eine Krankheit, irgendein Verdruss, jegliche starke affektive Belastung gab ihm das Gefühl, dass das Leben sozusagen seinen Vertrag mit ihm gebrochen hatte, sodass er dann seinen
untreuen Partner verließ ... Offensichtlich schuf die Menschheit [den
Glauben an] das Paradies nicht durch die Geburt Adams und Evas, sondern durch die Annahme des Todes durch den Primitiven, der freiwilligen Tod dem Aufgeben seiner Idealvorstellung vorzog, wie das Leben
sein sollte [166, S. 1364 f£].
Das Leben - oder Wirklichkeit, Gott, Schicksal, Natur, Existenz
oder welchen Namen auch immer man dafür vorzieht - ist also
ein Partner, den man annimmt oder ablehnt und von dem man
sich selbst angenommen oder verworfen, gefördert oder betrogen
fühlt. Und in ganz ähnlicher Weise wie einem menschlichen Partner bietet man diesem existenziellen Partner seine Selbstdefinition zur Ratifizierung an und findet sie dann bestätigt oder entwertet; und von diesem Partner versucht man immer wieder,
Hinweise auf die Natur der Beziehung zu ihm zu erhalten.
8.4 Stufen des Wissens - Prämissen dritter Ordnung
Was lässt sich über die lebenswichtigen Mitteilungen sagen, die
der Mensch nach bestem Können entschlüsseln muss, um sein
Überleben zu gewährleisten? Hierzu ist vor allem zu bemerken,
dass es zwei Arten von Wissen gibt: Wissen von und Wissen über
Dinge. Ersteres ist jenes Gewahrsein von Dingen, das uns unsere
Sinne übermitteln; es ist das, was Bertrand Russell «Wissen durch
Bekanntwerden» nennt oder Susanne Langer «ganz unmittelbares, sinnliches Wissen». Es ist jenes Wissen, das Pawlows Hund
zunächst hat, wenn er den Kreis oder die Ellipse wahrnimmt - ein
Wissen, das noch nichts über das Wahrgenommene weiß. In der
Versuchssituation aber lernt der Hund sehr rasch auch etwas über diese beiden geometrischen Figuren, nämlich dass sie irgendwie mit Lust und Unlust zusammenhängen und daher Bedeutung für sein Überleben haben. Wenn wir das sinnliche Gewahrsein Wissen erster Ordnung nennen wollen, so ist die andere Form von Wissen (Wissen über ein Objekt) ein Wissen zweiter Ordnung und daher Metawissen. (Es handelt sich hier um denselben Unterschied, den wir bereits in Abschnitt 1.4 machten, als wir darauf verwiesen, dass eine Sprache zu kennen und etwas über diese Sprache zu wissen, zwei sehr verschiedene Formen von Wissen sind.') Sobald der Hund die Bedeutung des Kreises und der Ellipse für sein Überleben verstanden (also Wissen zweiter Ordnung erlangt) hat, verhält er sich, als ob er daraus geschlossen hätte: «Dies ist eine Welt, in der ich sicher bin, wenn ich den Kreis von der Ellipse unterscheiden kann.» Diese Schlussfolgerung ist aber nicht mehr Wissen zweiter Ordnung; sie ist Wissen über Wissen zweiter Ordnung und daher Wissen dritter Ordnung. Beim Menschen verläuft dieser Prozess der Aneignung von Wissen im Wesentlichen in derselben Weise.
Wir hören nie auf, Wissen über die Gegebenheiten unserer Erfahrung zu suchen, ihre Bedeutung für unsere Existenz zu verstehen und zu ihnen aufgrund dieses Verstehens Stellung zu nehmen. Aus der Gesamtsumme von Bedeutungen, die wir schließlich von den zahllosen Einzelkontakten mit den Objekten der Umwelt gewinnen, bilden wir dann ein mehr oder weniger einheitliches Bild der Welt, in die wir uns «geworfen» finden (um diesen existenziellen Ausdruck zu verwenden), und dies ist ein Bild dritter Ordnung. Es besteht guter Grund zur Annahme, dass es recht gleichgültig ist, worin dieses Weltbild besteht, solange es nur eine sinnvolle Prämisse für unsere Existenz bietet. Das Wahnsystem eines Paranoiden scheint seinen Zweck als Sinnerklärung für die Welt des
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