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Menschliche Kommunikation

Menschliche Kommunikation

Titel: Menschliche Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Watzlawick
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Außerachtlassung des zwischenmenschlichen Kontextes einer derartigen Situation fast zwanglos ergibt.4 Es sei nochmals betont, dass am klinischen Ende des Verhaltensspektrums sogenannte verrückte Äußerungen nicht notwendigerweise die Manifestationen eines kranken Geistes zu sein brauchen, sondern viel eher die einzig mögliche Reaktion auf einen absurden oder untragbaren Kontext sind.

    3.234 Das Symptom als Kommunikation. Schließlich gibt es eine vierte Reaktion, mit der sich Passagier B gegen As Geschwätzigkeit zu schützen vermag: Er kann Schläfrigkeit, Taubheit, Trunkenheit, Unkenntnis der deutschen Sprache oder irgendeine andere Unfähigkeit vortäuschen, die ein Gespräch mit dem anderen entschuldbarerweise unmöglich macht. Alle diese Fälle sind Variationen des Grundthemas: «Ich hätte nichts dagegen, mit Ihnen zu sprechen, aber etwas, das stärker ist als ich und für das ich nicht verantwortlich gemacht werden kann, hindert mich daran.» Diese Anrufung einer Force majeure hat jedoch einen Schönheitsfehler: B weiß, dass er eine Ausrede verwendet. Einem Fremden gegenüber mag das noch angehen; bei nahestehenden Menschen aber kann man damit in einen Gewissenkonflikt kommen.
    Die endgültige Lösung besteht darin, dass man sich selbst davon überzeugt, unkontrollierbaren Gegebenheiten unterworfen zu sein. Dies schützt einen vor dem Tadel der anderen und den Vorwürfen des eigenen Gewissens. All dies ist jedoch nichts anderes als eine etwas kompliziertere Umschreibung der Tatsache, dass man ein psychoneurotisches, psychosomatisches oder psychotisches Symptom hat. In einem Vergleich der Amerikaner und der Russen bemerkte Margaret Mead einmal, dass der Amerikaner Kopfschmerzen vorschützen würde, um einer gesellschaftlichen Verpflichtung nicht nachkommen zu müssen, während der Russe tatsächlich Kopfschmerzen haben würde. In einem ihrer weniger bekannten Artikel [48] beschrieb Frieda Fromm-Reichmann die Bedeutung katatoner Symptome als Kommunikationen, und im Jahre 1954 verwies Jackson auf die Rolle hysterischer Symptome in der Auseinandersetzung des Patienten mit seiner Familie [63].s

    Diese Definition der pragmatischen Bedeutung des Symptoms scheint eine anfechtbare Annahme zu enthalten, nämlich
die, dass man sich selbst in der beschriebenen Weise beeinflussen
kann. Statt den nicht sehr plausiblen Hinweis zu strapazieren,
dass alltägliche klinische Erfahrung diese Annahme voll bestätigt,
sei auf die Untersuchungen von McGinnies über die sogenannte
Wahrnehmungszensur (perceptual defense) [100] verwiesen. Die
Versuchsperson sitzt vor einem Tachistoskop, einer Vorrichtung,
mittels der Wörter für beliebig kurze Zeiträume sichtbar gemacht
werden können. Zunächst wird die Wahrnehmungsschwelle der
Versuchsperson mithilfe einer Reihe von neutralen Wörtern
ermittelt. Im Anschluss daran wird ihr die eigentliche Testreihe
vorgeführt, die sich aus neutralen und «kritischen», d.h. gefühlsbetonten Wörtern zusammensetzt, wie z. B. Hure, Dreck und
dergleichen. Aufgabe der Versuchsperson ist es, jedes dieser nur
für Sekundenbruchteile sichtbaren Wörter zu lesen und dem Versuchsleiter laut zu wiederholen. Ein Vergleich der Leistungen der
Versuchsperson bei den neutralen und den kritischen Wörtern
zeigt wesentlich höhere Schwellenwerte für die letzteren, d. h.,
die Versuchsperson «sieht» von diesen Wörtern viel weniger. Um
nun aber bei den gesellschaftlich tabuierten Wörtern mehr Versager zu haben, muss die Versuchsperson sie zuerst als solche identifizieren und sich dann irgendwie überzeugen, dass sie sie nicht
lesen konnte. Der unmittelbare zwischenmenschliche Vorteil dieser Versager ist also der, dass die Versuchsperson diese Wörter in
Gegenwart eines andern (des Versuchsleiters) nicht auszusprechen braucht.
    Die verhaltensmäßige Bedeutung eines Symptoms ist also die,
dass es andere in einer Weise beeinflusst, die es dem Patienten
ermöglicht, sich von der Verantwortung für diese Beeinflussung
freizusprechen. In diesem Sinn wird das Symptom zu einem Phänomen von primärer zwischenmenschlicher Bedeutung, dem der
Begriff des sekundären Krankheitsgewinns nicht gerecht wird.

    3.3 Störungen auf dem Gebiet der Inhaltsund Beziehungsaspekte
    Ein Ehepaar berichtet in seiner gemeinsamen Psychotherapiesitzung folgenden Vorfall. Als der Mann am Vortag allein daheim
war, erhielt er den Anruf eines guten Freundes, der ihm mitteilte,
dass er (der Freund) demnächst

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