Menschliche Kommunikation
terminologischer Verfeinerungen ist aber fraglich - besonders, wenn wir uns an den
Unterschied erinnern, der zwischen der reinen Beobachtung verhaltensmäßiger Redundanzen und den ihnen zugeschriebenen
Gründen oder Mythologien (vgl. Abschnitt 1.4) besteht. Mit
anderen Worten, wir beschränken unsere Aufmerksamkeit darauf,
wie sich die beiden Partner verhalten, ohne darauf einzugehen,
warum sie sich (unserer oder ihrer eigenen Meinung nach) so
verhalten.
2.64 Aus dem oben Gesagten postulieren wir ein fünftes Axiom:
Zwischenmenschliche Kommunikationsabläufe sind entweder
symmetrisch oder komplementär, je nachdem, ob die Beziehung
zwischen den Partnern auf Gleichheit oder Unterschiedlichkeit
beruht.
2.7 Zusammenfassung
In Bezug auf die oben erwähnten Axiome möchten wir nochmals
Folgendes betonen: Erstens sollte es klar sein, dass diese Axiome
nicht mehr als versuchsweise getroffene Formulierungen sein
können. Zweitens sind sie insofern heterogen, als sie von Beobachtungen sehr verschiedenen Abstraktionsgrades abgeleitet sind.
Ihr gemeinsamer Nenner ist also nicht ihr Ursprung, sondern die
ihnen allen eigene pragmatische Bedeutung, die ihrerseits nicht
monadischer, sondern zwischenmenschlicher Natur ist. So macht
die Unmöglichkeit, nicht zu kommunizieren, alle Zwei-odermehr-Personen-Situationen zu zwischenpersönlichen, kommunikativen; der Beziehungsaspekt solcher Kommunikationen umreißt
diesen Umstand noch enger. Die pragmatische zwischenmenschliche Bedeutung der digitalen und analogen Kommunikationsmodalitäten liegt nicht nur in ihrer weitgehenden Isomorphie mit
dem Inhaltsund Beziehungsaspekt jeder Mitteilung, sondern darüber hinaus in der unvermeidlichen, aber wichtigen Doppeldeutigkeit, mit der sich Sender wie Empfänger beim Übersetzen von der einen in die andere Modalität auseinanderzusetzen haben. Der
Begriff der Interpunktion beruht auf einer Weiterentwicklung des
klassischen Aktion-Reaktion-Modells und seiner Anpassung an
die Wechselseitigkeit menschlicher Beziehungen. Und schließlich
kommen die Begriffe der Symmetrie und der Komplementarität
am nächsten an den mathematischen Begriff der Funktion heran,
da die Positionen der Partner nur Variable mit einer unbegrenzten
Anzahl von Werten darstellen, deren Sinn nicht absolut ist, sondern sich nur aus der gegenseitigen Beziehung ergibt.
3.1 Einleitung
Bisher haben wir axiomatische Eigenschaften der Kommunikation behandelt. Unsere nächste Aufgabe ist es, die Pathologien zu untersuchen, die sich bei Eintreten bestimmter Umstände im Rahmen dieser Eigenschaften herausbilden können. Mit anderen Worten, es soll nun geprüft werden, wie und mit welchen Folgen die im 2. Kapitel dargestellten Prinzipien der menschlichen Kommunikation Störungen unterliegen können. Dabei wird sich zeigen, dass die verhaltensmäßigen Folgen solcher Phänomene oft einen neuen, erweiterten Sinnbezug für psychopathologische Manifestationen bieten, die traditionell dem Individuum und seinen intrapsychischen Prozessen zugeschrieben werden. Die sich auf die einzelnen Axiome beziehenden Pathologien sind in derselben Reihenfolge dargestellt wie im 2. Kapitel, mit Ausnahme gewisser Überschneidungen, die durch die zunehmende Komplexität unseres Materials unvermeidlich sind.'
3.2 Die Unmöglichkeit, nicht zu kommunizieren
In Abschnitt 2.23 wurde bereits auf das Dilemma des Schizophrenen verwiesen, der mit seinem Verhalten ausdrücken zu wollen
scheint, dass er nicht kommuniziert, und für den es dann notwendig wird, zu verneinen, dass auch diese Verneinung selbst eine
Kommunikation ist. Andererseits ist es aber auch möglich, dass
der Patient kommunizieren will, gleichzeitig jedoch die Verantwortung der Stellungnahme vermeiden möchte, die, wie wir gesehen haben, im Beziehungsaspekt jeder Kommunikation enthalten
ist. Eine junge Schizophrene z. B. führte sich beim Psychiater mit
der in heiterem Ton vorgebrachten Bemerkung ein: «Meine Mutter musste heiraten, und deshalb bin ich hier.» Es dauerte Wochen,
bis die hauptsächlichen Mitteilungen geklärt waren, die die Patientin in ihrer Aussage kondensiert und außerdem durch ihren
kryptischen Stil und ihren Pseudohumor zu entwerten versucht
hatte. Wie sich allmählich herausstellte, wollte sie mit dieser Einführung dem Therapeuten Folgendes mitteilen:
1. Sie war das Resultat einer unehelichen Schwangerschaft.
2. Dieser Umstand war für ihre geistige Verfassung verantwortlich.
3.
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