Menschliche Kommunikation
die
Partner sind sich sozusagen einig, uneins zu sein (vgl.
Abschnitt 3.64, Beispiel 3).
b) Die Partner sind sich auf der Inhaltsstufe einig, auf der
Beziehungsstufe dagegen nicht (vgl. Abschnitt 3.33ff.).
Dies bedeutet vor allem, dass bei Wegfallen des Einverständnisses auf der Inhaltsstufe die Tragfähigkeit der
Beziehung ernsthaft gefährdet sein dürfte. Beispiele hierfür
sind Legion. Bekanntlich zerbrechen viele Ehen gerade
dann, wenn äußere Schwierigkeiten überwunden sind, die
bisher die Gatten zu gemeinsamem Kampf und gegenseitiger Unterstützung zwangen. Dasselbe Phänomen lässt sich
auf politischer Ebene beobachten, wenn Staaten mit verschiedenen Ideologien nach Aufhören einer gemeinsamen
Gefahr zu Feinden werden (z. B. die USA und die UdSSR
nach der Besiegung Deutschlands und Japans) oder wenn
eine Koalitionsregierung zerbricht, da die äußere Notwendigkeit für die Koalition zwischen den verschieden
orientierten Parteien nicht mehr besteht (Österreich 1966).
Hierher gehört auch ein für das Verständnis der Familiendynamik hochwichtiger Mechanismus: die Sündenbockrolle eines Kindes, dessen «Problem» (Versagen in der Schule, Neurose, Psychose, Kriminalität) der Beziehung
der Eltern durch die Notwendigkeit gemeinsamer Entscheidungen und dauernden gemeinsamen Eingreifens eine
Pseudofestigkeit verleiht, die sie keineswegs hat. Fast mit
mathematischer Sicherheit lässt sich voraussagen, dass auf
eine Besserung des Patienten eine Ehekrise der Eltern folgt,
die den Patienten dann sehr oft wieder in seine Pathologie
zurückfallen lässt (vgl. Abschnitt 5.42).
c) Wie bereits erwähnt, sind ferner Konfusionen zwischen
den beiden Aspekten (Inhalt und Beziehung) möglich.
Dabei kann sowohl der Versuch gemacht werden, ein
Beziehungsproblem auf der Inhaltsstufe zu lösen, als auch
umgekehrt auf eine objektive Meinungsverschiedenheit
mit einer Variante des grundsätzlichen Vorwurfs «Wenn
du mich liebtest, würdest du mir nicht widersprechen» zu
reagieren (vgl. Abschnitt 3.32).
d) Von besonderer klinischer Bedeutung sind schließlich alle
jene Situationen, in denen eine Person in der einen oder
anderen Weise gezwungen wird, ihre Wahrnehmungen auf
der Inhaltsstufe zu bezweifeln, um eine für sie wichtige
Beziehung nicht zu gefährden. Dies ist der Mechanismus,
der den zu Beginn des 1. Kapitels erwähnten Asch-Experimenten zugrunde liegt; er führt ferner zu paradoxen
Kommunikationsstrukturen, mit denen sich das 6. Kapitel
auseinandersetzt.
3.32 Meinungsverschiedenheiten. Sie liefern gute Beispiele für
Konflikte, die sich aus einer Konfusion zwischen Inhaltsund Beziehungsaspekt ergeben. Wie schon erwähnt, können sie sowohl
auf der einen wie auf der anderen Stufe auftreten und sind voneinander abhängig. So kann z. B. eine Meinungsverschiedenheit
zwischen zwei Personen über die Wahrheit der Aussage «Uran
hat 92 Elektronen» nur scheinbar dadurch entschieden werden,
dass man ein Lehrbuch der Kernphysik heranzieht. Dieser Beweis bestätigt zwar die objektive Richtigkeit der Aussage, zeigt aber
außerdem, dass der eine Partner recht und der andere unrecht hat.
Von diesen beiden Ergebnissen legt also das erste die Meinungsverschiedenheit auf der Inhaltsstufe bei, während das zweite ein
Problem auf der Beziehungsstufe aufwirft. Um dieses neue Problem zu lösen, können die beiden Partner nicht weiterhin über
Elektronen sprechen; sie müssen sich vielmehr über sich selbst
und ihre Beziehung auseinandersetzen. Um das zuwege zu bringen, müssen sie sich darauf einigen, ihre Beziehung entweder als
symmetrisch oder als komplementär zu definieren. Mit anderen
Worten, der eine Gesprächspartner, der unrecht hatte, kann nun
entweder den anderen wegen seines größeren Wissens bewundern
oder aber sich aus Ärger über seine Niederlage vornehmen, dem
anderen bei nächster Gelegenheit eins aufzutrumpfen und damit
das intellektuelle Gleichgewicht (also die Symmetrie) wiederherzustellen. Wie sich alltäglich beobachten lässt, neigt diese Form
der Symmetrie zur Eskalation, wobei der Inhaltsaspekt immer
mehr in den Hintergrund tritt. Ein vorzügliches Beispiel dieser
Interaktion geben die sowjetischen und chinesischen Parteiideologen mit ihren haarspalterischen Exegesen dessen, was Marx
«wirklich» meinte, um zu beweisen, welch schlechte Marxisten
die anderen sind. In diesen Konflikten können Worte am Ende
ihren letzten Rest semantischer Bedeutung verlieren
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