Menschliche Kommunikation
geschäftlich in jener Gegend zu
tun habe. Der Ehemann bot ihm sofort das Gästezimmer in seinem Haus an, wie er und seine Frau es schon früher bei ähnlichen
Gelegenheiten getan hatten. Als seine Frau jedoch bei Rückkehr
von dieser Einladung erfuhr, kam es zu einem heftigen Ehestreit.
In der Sitzung ergibt sich, dass sich die beiden über die Selbstverständlichkeit der Einladung des Freundes völlig einig sind und
dass daher auch die Frau nicht anders gehandelt hätte, wenn sie
zur Zeit des Anrufs daheim gewesen wäre. Die beiden sind überrascht, feststellen zu müssen, dass sie sowohl dieselbe Meinung
als auch eine grundlegende Meinungsverschiedenheit über ein
und denselben Sachverhalt haben.
3.31 In Wirklichkeit handelt es sich um zwei ganz verschiedene
Sachverhalte. Der eine betrifft die Einladung als solche, und darüber können sie digital kommunizieren, der andere dagegen einen
ganz spezifischen Aspekt ihrer Beziehung - nämlich die Frage,
ob einer von ihnen das Recht hat, eine Initiative ohne Befragung
des anderen zu ergreifen (selbst wenn die Reaktion des anderen
aufgrund früherer Erfahrung vorauszusehen ist) - und darüber
können sich die Partner nicht so leicht digital einigen, denn das
würde die Fähigkeit voraussetzen, über ihre Beziehung sprechen
zu können. In ihrem Versuch, den Konflikt beizulegen, begehen
die beiden einen typischen Fehler: Während ihre Unstimmigkeit
auf der Ebene des Beziehungsaspekts liegt, versuchen sie, die
Lösung auf der Inhaltsebene zu erreichen, wo keine Unstimmigkeit herrscht. Dieser Fehler führt daher in einen für sie selbst
unlösbaren Pseudokonflikt, der an den Witz von dem Betrunkenen erinnert, der seinen Hausschlüssel nicht dort sucht, wo er ihn wirklich verloren hat, sondern unter der Straßenlaterne, «weil es
hier viel heller ist».
Einem anderen Ehemann gelang es, den Unterschied zwischen dem Inhalts- und dem Beziehungsaspekt selbst zu entdecken und treffend zu formulieren. Er und seine Frau gerieten
häufig in symmetrische Eskalationen darüber, wer von ihnen in
irgendeiner - gewöhnlich recht belanglosen - Streitfrage recht
hatte. Eines Tages, als seine Frau ihm klipp und klar beweisen
konnte, dass er unrecht hatte, erwiderte er: «Schön, du magst
recht haben, aber du hast unrecht, weil du mit mir streitest.»
Jedem Psychotherapeuten, der dem Zwischenmenschlichen
Aufmerksamkeit schenkt, sind diese Konfusionen zwischen dem
Inhalts- und dem Beziehungsaspekt ebenso gut bekannt wie die
große Schwierigkeit, hier therapeutisch zu intervenieren. Während ihm die monotone Redundanz dieser Pseudounstimmigkeiten bald klar wird, erleben die Partner selbst jede dieser Kontroversen als völlig neue, nie zuvor erlebte Krise, weil sie nur den
immer wieder verschiedenen Inhalt, nicht aber die immer gleichbleibende Beziehungsstruktur dieser Krisen sehen. Koestler hat
dies meisterhaft beschrieben:
Familienbeziehungen gehören einer Sphäre an, in der die sonst üblichen
Regeln des Urteils und des Handelns außer Kraft gesetzt sind. Sie sind
ein Labyrinth von Spannungen, Streitereien und Versöhnungen, deren
Logik widerspruchsvoll ist und deren Wertmaßstäbe und Kriterien oft so
verbogen sind wie der gekrümmte Raum eines in sich geschlossenen Universums. Es ist ein von Erinnerungen gesättigtes Universum - Erinnerungen, aus denen man nichts lernt; saturiert mit einer Vergangenheit, die
keine Ratschläge für die Zukunft gibt. Denn in diesem Universum
beginnt die Zeitrechnung nach jedem Streit und jeder Versöhnung von
Neuem, und die Geschichte befindet sich immer im Jahre Null [84,
S. 226].
Bevor wir auf die Beziehungsprobleme näher eingehen, die durch
Störungen im Bereich des Inhalts- und des Beziehungsaspekts
auftreten können, wollen wir uns rein schematisch vor Augen
führen, welche Varianten hier bestehen:
1. Der Idealfall ist dann gegeben, wenn sich die Partner sowohl
über den Inhalt ihrer Kommunikationen als auch über die
Definition ihrer Beziehung einig sind.
2. Im schlechtesten Fall liegt der umgekehrte Sachverhalt vor,
d. h., die Partner sind sich sowohl auf der Inhalts- als auch auf
der Beziehungsstufe uneinig.
3. Zwischen diesen beiden Extremen liegen mehrere
Mischformen:
a) Die Partner sind sich auf der Inhaltsstufe uneins, doch
diese Meinungsverschiedenheit beeinträchtigt ihre Beziehung nicht. Dies erscheint uns als die menschlich reifste
Form der Auseinandersetzung mit Unstimmigkeiten;
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