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Menschliche Kommunikation

Menschliche Kommunikation

Titel: Menschliche Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Watzlawick
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nicht beschäftigen. Wichtig ist vielmehr, dass er sehr bald die Weisheit der militärischen Grundregel einsehen wird, wonach man im Fall einer Gefangennahme nur Namen und Dienstgrad angeben darf. Passagier A wird nämlich kaum auf halbem Weg stehen bleiben; er kann vielmehr entschlossen sein, sich die Langweile des Flugs damit zu vertreiben, alles über B herauszufinden, einschließlich dessen Gedanken, Gefühle und Überzeugungen. Und wenn B einmal zu antworten beginnt, wird es für ihn zunehmend schwieriger, sich weiterer Befragung zu entziehen - eine Tatsache, die «Gehirnwäschern» wohl bekannt ist.
    3.233 Entwertung (disconfirmation). B könnte sich auch mittels einer wichtigen Technik schützen, die darin besteht, die eigenen Aussagen oder die des Partners zu entwerten, d. h., sie - absichtlich oder unabsichtlich - einer klaren Bedeutung berauben. Hierfür gibt es eine ganze Reihe semantischer Möglichkeiten, wie Widersprüchlichkeit, Ungereimtheiten, Themawechsel, unvollständige Sätze, absichtliches Missverstehen, unklare oder idiosynkratische Sprachformen, Konkretisierung von Metaphern oder metaphorische Auslegung konkret gemeinter Bemerkungen und dergleichen mehr.' Ein glänzendes Beispiel dieser Kommunikationsform findet sich in der Eingangsszene des Films Lolita, wo Quilty von Humbert mit der Pistole bedroht wird und ein derartiges Feuerwerk von Unsinn von sich gibt, dass der andere mit seiner Todesdrohung einfach nicht ankommt. Oder nehmen wir das reizende Beispiel logischen Unsinns, das Gedicht des
Weißen Kaninchens in Alice im Wunderland [31, S. 121 f.]:

    Und so geht es noch drei Strophen weiter. Wenn wir dies mit
einem ungekürzten Ausschnitt aus dem Interview einer normalen
Versuchsperson vergleichen, eines Ehemanns, der sich freiwillig
für diese Befragung zur Verfügung stellte und nun einer peinlichen Frage gern ausweichen möchte, andererseits aber glaubt, sie
beantworten zu müssen, so finden wir, dass seine Äußerungen,
was ihre Form und ihre Informationsarmut betrifft, dem Gedicht
des Weißen Kaninchens auffallend ähnlich sind:
    Frage: Und wie macht sich der Umstand bemerkbar, Herr R., dass
sowohl Ihre Eltern als auch Sie mit Ihrer Familie hier in derselben Stadt
leben?
    Antwort: Ja, wir versuchen, ah, ganz persönlich, ich meine ... ah, ich
ziehe es vor, dass Marie (seine Frau) da die Führung übernimmt, statt
meiner oder dergleichen. Ich besuche sie gern, aber ich versuche, nicht zu
viel daraus zu machen, oder dass sie ... sie wissen ganz genau, dass ... oh,
das war schon immer so, schon bevor Marie und ich uns kennenlernten,
und es war mehr oder weniger eine anerkannte Tatsache - in unserer
Familie war ich das einzige Kind ... und sie legten Wert darauf, niemals,
so gut sie es konnten, sich nicht, ah, einzumischen. Ich glaube nicht,
dass ... ich glaube, dass in jeder Familie da immer eine Neigung vorhanden ist, gleichgültig, ob in unserer Familie oder in irgendeiner Familie.
Und das ist etwas, das sogar Marie und ich bemerken, wenn wir ... wir sind beide ziemliche Perfektionisten. Und, ah, andererseits wiederum
sind wir sehr ... sind wir ... wir sind starr und ... wir erwarten das von
den Kindern, und wir glauben, dass, wenn man aufpassen muss - ich
meine, wenn, ah ... man kann Schwierigkeiten mit den Schwiegereltern
haben, glauben wir, wir haben es bei anderen gesehen, und wir haben
halt ... es ist etwas, wogegen sich meine eigene Familie in Acht zu nehmen trachtete, aber, ah ... und, ah, wie hier - ja, wir haben ... ich würde
nicht sagen, dass wir ablehnend gegenüber den alten Leutchen sind [152,
S. 20 f.].

    Praktisch jeder, der sich in einer Situation befindet, in der er einerseits auf die Fragen des anderen antworten soll, andererseits sich dem andern aber nicht eröffnen möchte, wird in dieser oder einer ähnlichen Form reagieren. Im Hinblick auf die dabei verwendeten Kommunikationsformen besteht hier wenig Unterschied zwischen einer sogenannten normalen Person, die einem geschickten Befrager in die Hände fiel, und einem sogenannten Geisteskranken in demselben Dilemma. Beide können sich der Situation nicht entziehen, beide können nicht nicht kommunizieren, und beide haben gute Gründe, sich nicht festlegen zu wollen. In beiden Fällen ist das Resultat ein Kauderwelsch - mit dem einen Unterschied, dass im Fall des Patienten die Äußerungen gewöhnlich seinem zerrütteten Geisteszustand zugeschrieben werden, was sich aus der traditionellen

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