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Menschliche Kommunikation

Menschliche Kommunikation

Titel: Menschliche Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Watzlawick
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entscheiden hatte, ob sie die
Beziehung an diesem Punkt abbrechen oder sich dem Partner
sexuell hingeben sollte. Entschied sie sich für die letztere Alternative, so fand sich der Amerikaner einem Verhalten gegenüber, das für ihn durchaus nicht in dieses Frühstadium der Beziehung passte und nur als schamlos zu bezeichnen war. Die Lösung
eines solchen Beziehungskonflikts durch die beiden Partner
selbst ist natürlich deswegen praktisch unmöglich, weil derartige kulturbedingte Verhaltensformen und -abläufe meist völlig
außerbewusst sind. Ins Bewusstsein dringt nur das undeutliche
Gefühl: der andere benimmt sich falsch.

    In seinen Untersuchungen über den Einfluss von Gruppen
auf Einzelindividuen verwendete Asch [3] eine Versuchsanordnung von eleganter Einfachheit. Er arbeitete mit Gruppen von
acht Studenten, die im Halbkreis um den Versuchsleiter herumsaßen und von denen einer nach dem andern anzugeben hatte, welche von mehreren parallelen Linien (allen zugleich auf einer Reihe
von Tafeln sichtbar gemacht) gleich lang waren. Sieben der Teilnehmer waren jedoch vorher instruiert worden, bei jeder Tafel
einstimmig dieselbe falsche Antwort zu geben. Nur ein Student,
die eigentliche Versuchsperson, war nicht eingeweiht und saß
so, dass er als Vorletzter an die Reihe kam, nachdem also sechs
andere Studenten bereits mit großer Selbstverständlichkeit dieselbe falsche Antwort gegeben hatten. Asch fand, dass unter diesen Umständen nur 25 Prozent der Versuchspersonen ihren eigenen Wahrnehmungen trauten, während 75 Prozent sich in einem
kleineren oder größeren Grad der Mehrheitsmeinung unterwarfen, einige blindlings, andere mit beträchtlichen Angstgefühlen.
    Diese drei scheinbar wahllos aus der Ethologie, der Kulturanthropologie und der Experimentalpsychologie herausgegriffenen
Beispiele haben einen gemeinsamen Nenner: Sie zeigen, dass
bestimmte Phänomene unerklärlich bleiben, solange sie nicht in
genügend weitem Kontext gesehen werden, oder dass in diesem
Fall dem betreffenden Organismus Eigenschaften zugeschrieben
werden müssen, die er nicht besitzt. Die Zu- und Abnahme
der Füchse würde unerklärlich bleiben, wenn man sie isoliert
untersuchte - es sei denn, man wollte den Füchsen zu gewissen
Zeiten einen «Todestrieb» zuschreiben. In derselben monadisch
beschränkten Sicht ließe sich eine Engländerin unschwer als «hysterisch» oder «nymphomanisch» diagnostizieren (je nachdem,
ob sie die Beziehung zum Partner nach dem ersten, für ihn
harmlosen Kuss überstürzt abbricht oder sich praktisch zum Geschlechtsverkehr vorbereitet). In den Asch-Experimenten wird offenkundig, dass das Außerachtlassen des zwischenmenschlichen Kontextes der Versuchsanordnung dem Beobachter keine
andere Wahl ließe, als der Versuchsperson eine mehr oder weniger schwere Störung ihrer Wirklichkeitswahrnehmung zuzuschreiben und eine psychiatrische Diagnose zu stellen.

    Die Phänomene, die in den Wechselbeziehungen zwischen
Organismen im weitesten Sinn des Wortes (Zellen, Organe,
Organsysteme, komplexe elektronische Netze, Tiere, Personen,
Familien, wirtschaftliche oder politische Systeme, Kulturen,
Nationen usw.) auftreten, unterscheiden sich grundsätzlich und
wesentlich von den Eigenschaften der beteiligten Einzelorganismen. Während diese Tatsache in der Biologie und den ihr
verwandten Disziplinen unbestritten akzeptiert wird, fußt die
menschliche Verhaltensforschung noch weitgehend auf monadischen Auffassungen vom Individuum und auf der ehrwürdigen
wissenschaftlichen Methode der Isolierung von Variablen. Dies
wird besonders augenfällig, wenn ein sogenanntes gestörtes (psychopathologisches) Verhalten zum Gegenstand der Untersuchung wird. Werden solche Verhaltensformen in künstlicher Isolierung gesehen, so steht zwangsläufig die Frage nach der Natur
dieser Zustände und damit im weiteren Sinn nach dem Wesen der
menschlichen Seele im Vordergrund. Wenn aber die Grenzen dieser Untersuchung weit genug gesteckt werden, um die Wirkungen eines solchen Verhaltens auf andere, die Reaktionen dieser
anderen und den Kontext, in dem all dies stattfindet, zu berücksichtigen, so verschiebt sich der Blickpunkt von der künstlich
isolierten Monade auf die Beziehung zwischen den Einzelelementen größerer Systeme. Das Studium menschlichen Verhaltens
wendet sich dann von unbeweisbaren Annahmen über die Natur
des Psychischen den beobachtbaren Manifestationen menschlicher Beziehungen zu.
    Das

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