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Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Mann
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geöffnetem Mund. Auch Lotte Lindenthal ließ ein perlendes Koloraturgelächter hören, und der Schauspieler Höfgen – höchst dekorativ in sein schwarzes Cape gewickelt – zeigte ein Lächeln, das auf seiner Mephisto-Maske wie ein triumphales und dabei schmerzliches Grinsen schien.
    Die Unterhaltung zwischen dem Mächtigen und dem Komödianten wurde immer angeregter. Ohne Frage: der Ministerpräsident amüsierte sich. Was für wunderbare Anekdoten erzählte Höfgen, der es erreichte, daß der Fliegergeneral geradezu trunken schien vor Wohlgelauntheit? Alle im Parkett suchten von den Worten, die Hendriks blutrot gefärbte und künstlich verlängerte Lippen sprachen, einige zu erhaschen. Aber Mephisto sprach leise, nur der Mächtige vernahm seine erlesenen Scherze.
    Mit schöner Gebärde breitete Höfgen die Arme unter dem Cape, so daß es wirkte, als wüchsen ihm schwarze Flügel. Der Mächtige klopfte ihm auf die Schulter: niemandem im Parkett entging es, und das respektvolle Murmeln schwoll an. Jedoch verstummte es, wie die Musik im Zirkus vor der gefährlichsten Nummer – angesichts des Außerordentlichen, was nun geschah.
    Der Ministerpräsident hatte sich erhoben: da stand er in all seiner Größe und funkelnden Fülle, und er streckte dem Komödianten die Hand hin. Gratulierte er ihm zu seiner schönen Leistung? Es sah aus, als wollte der Mächtige einen Bund schließen mit dem Komödianten.
    Im Parkett riß man Mund und Augen auf. Man verschlang die Gesten der drei Menschen dort oben in der Loge, als das außerordentliche Schauspiel, als die zauberhafte Pantomime, deren Titel lautet: Der Schauspieler verführt die Macht. Noch nie war Hendrik so heftig beneidet worden. Wie glücklich mußte er sein!
    Ahnte irgend jemand von den Neugierigen, was wirklich vorging in Hendriks Brust, während er sich tief über die fleischige und behaarte Hand des Mächtigen neigte? Waren es Glück und Stolz allein, die ihn erschauern ließen? Oder spürte er auch noch etwas anderes – zur eigenen Überraschung? Und was war dieses andere? War es Angst? Es war beinah Ekel … Jetzt habe ich mich beschmutzt, war Hendriks bestürztes Gefühl. Jetzt habe ich einen Flecken auf meiner Hand, den bekomme ich nie mehr weg … Jetzt habe ich mich verkauft … Jetzt bin ich gezeichnet!
     

VIII
ÜBER LEICHEN
     
    Am nächsten Morgen wußte es die ganze Stadt: der Ministerpräsident hatte in seiner Loge den Schauspieler Höfgen empfangen und fünfundzwanzig Minuten lang mit ihm geplaudert. Die Vorstellung hatte nach der Pause mit einer wesentlichen Verspätung wieder begonnen, das Publikum mußte warten, und übrigens wartete es mit Vergnügen. Die Szene, die sich ihm in der Minister-Loge bot, war viel spannender als der ›Faust‹.
    Hendrik Höfgen, der im ›Sturmvogel‹ als ›Genosse‹ aufgetreten war, den man schon beinahe aufgegeben und zum Auswurf der Nation, nämlich zu den Emigranten gezählt hatte: da saß er vor aller Augen, Seite an Seite mit dem gewaltigen Dicken, der in äußerst animierter Stimmung schien. Mephistopheles flirtete und scherzte mit dem Mächtigen, der ihm mehrfach auf die Schulter klopfte und beim Abschied seine Hand gar nicht mehr losließ. Das Auditorium des Staatstheaters murmelte ergriffen angesichts solchen Schauspiels. Noch in derselben Nacht wurde das sensationelle Vorkommnis leidenschaftlich besprochen und kommentiert, in den Cafés, Salons und auf den Redaktionen. Den Namen Höfgens, den man während der letzten Monate nie ohne Skepsis – mit einem schadenfrohen Grinsen oder mit einem bedauernden Achselzucken – ausgesprochen hatte, nannte man nun mit einer neuen Ehrfurcht. Auf ihn war ein Schimmer von dem ungeheuren Glanz gefallen, der die Macht umgibt.
    Denn der kolossale Fliegeroffizier, den man gerade erst zum General gemacht hatte, gehörte zur allerobersten Spitze des autoritären und totalen Staates. Über ihm gab es nur noch den ›Führer‹ – den man kaum mehr zu den Sterblichen rechnen durfte. Wie der Herr der Himmel von den Erzengeln, so war der Diktator umgeben von seinen Paladinen. Rechts neben ihm stand der bewegliche Kleine mit der Raubvogel-Physiognomie, der verwachsene Prophet, der Lobredner, Einflüsterer und Propagandist, der die gespaltene Zunge der Schlange besaß und in jeder Minute eine Lüge ersann. Zur Linken des Gebieters aber hatte seinen Platz der famose Dicke: er stand breitbeinig da, eine majestätische Erscheinung, gestützt auf sein Richtschwert, glitzernd von

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