Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Mann
Vom Netzwerk:
Orden, Bändern und Ketten, jeden Tag in einer anderen prächtigen Vermummung. Während der Kleine, zur Rechten des Thrones, die Lügen ersann, dachte der Dicke sich täglich neue Überraschungen aus – zur eigenen Unterhaltung und zur Unterhaltung des Volkes –: Feste, Hinrichtungen oder Prunkkostüme. Er sammelte Ordenssterne, phantastische Kleidungsstücke und phantastische Titel. Natürlich sammelte er auch Geld. Sein Lachen war behaglich grunzend, wenn er von den vielen Witzen erfuhr, die das Volk über seine Prunksucht zu machen wagte. Manchmal, wenn er schlechter Laune war, ließ er jemanden einsperren und peitschen, der sich gar zu keck geäußert hatte. Meistens aber grinste er wohlwollend? Gegenstand des öffentlichen Humors zu sein schien ihm ein Zeichen von Popularität – und gerade die wollte er haben. Da er nicht so faszinierend zu schwatzen verstand wie sein Konkurrent, der Dämon von der Reklame-Abteilung, mußte er sie sich verschaffen mittels massiver und enorm kostspieliger Extravaganzen. Er freute sich seines Ruhmes und seines Lebens. Er schmückte seinen gedunsenen Leib, er ritt auf Jagden, er fraß und soff. Er ließ die Bilder aus den Museen stehlen und aufhängen in seinem Palast. Er verkehrte mit reichen und feinen Leuten, sah Prinzen und große Damen an seinem Tisch. Er war arm und verkommen gewesen, das war noch nicht lange her; um so intensiver genoß er es, daß er jetzt Geld und schöne Dinge haben konnte, soviel er nur irgend mochte. Ist mein Leben nicht wie ein Märchen? dachte er häufig. Er hatte eine Neigung zum Romantischen. Deshalb liebte er das Theater, mit Wollust schnupperte er die Luft hinter den Kulissen, und mit Vergnügen saß er in seiner samtenen Loge, wo er seinerseits vom Publikum bewundert wurde, ehe er selber etwas Nettes zu sehen bekam.
    Sein Leben, wie es war, schien ihm angenehm; ganz nach seinem abenteuerlichen und exzessiven Geschmack aber würde es erst werden, wenn der Krieg wieder losging. Der Krieg – so fand dieser Dicke – war ein Amüsement von noch intensiverer Art als alle Genüsse, die er sich nun gönnte. Auf den Krieg freute er sich wie ein Kind auf Weihnachten, und er sah seine wesentlichste Pflicht darin, ihn mit sorgfältiger Schlauheit vorzubereiten. Mochte der Reklamezwerg das Seine dafür tun, indem er die Zeitungen im Ausland dutzendweise kaufte, Millionen für Bestechungen ausgab, ein Netz von Spionen und Provokateuren über die fünf Erdteile organisierte, den Aether füllte mit frechen Drohungen oder noch frecheren Friedensbeteuerungen –: er, der Dicke, kümmerte sich um die Flugzeuge. Denn Flugzeuge vor allem mußte Deutschland haben. Schließlich war die Vergiftung durch Infamien doch nur vorbereitendes Spiel. Eines Tages – von dem der Dicke sehnlichst hoffte, daß er nicht mehr gar zu ferne wäre – sollte die Luft der europäischen Städte in einem nicht mehr gleichnishaften Sinn vergiftet werden: dafür wollte der Fliegergeneral sorgen, der durchaus nicht seine ganze Zeit damit verbrachte, in Theatern zu sitzen oder sich umzukleiden.
    Da steht er auf seinen Beinen, die wie Säulen sind; streckt den enormen Bauch vor und strahlt. Auf ihn und auf den geschäftigen Herrn der Reklame fällt fast ebensoviel Licht wie auf den ›Führer‹, den sie in ihrer Mitte haben. Dieser scheint seinerseits beinah nichts zu sehen, seine Augen sind blicklos und stumpf, wie die eines Blinden. Schaut er nach innen? Lauscht er in sich hinein? Und was hört er dort? Singen und sagen die Stimmen in seinem Herzen nur immer wieder dasselbe, was der Propagandaminister und alle von ihm dirigierten Zeitungen nicht müde werden, ihm zu bestätigen: Daß er der von Gott Gesandte sei und immer nur seinem Stern zu folgen brauche, damit Deutschland, und mit ihm die Welt, unter seiner Führung glücklich werde? Hört er dies wirklich? Glaubt er dies in der Tat? – Sein Gesicht – das aufgeschwemmte Kleinbürgergesicht mit dem Ausdruck einer selbstgefälligen Ekstase – könnte vermuten lassen, daß er dies wirklich hört, daß er dies wirklich glaubt. – Aber überlassen wir ihn seinen Wonnen oder seinen Zweifeln. Dieses Gesicht birgt kein Geheimnis, das uns lange reizen oder fesseln könnte. Es hat nicht die Würde des Geistes, und es ist nicht geadelt durch Leiden. Wenden wir uns von ihm.
    Lassen wir ihn stehen, den großen Mann, inmitten seines höchst verdächtigen Olymps. Was drängt sich da noch alles um ihn? Eine schöne Versammlung von Göttern!

Weitere Kostenlose Bücher