Mephisto
Eine reizende Gruppe grotesker und gefährlicher Typen, vor der ein gottverlassenes Volk sich im Delirium der Verehrung windet! Der geliebte Führer hat die Arme verschränkt, unter der tückisch geduckten Stirn geht sein blinder, grausam-sturer Blick über die Menge hin, die zu seinen Füßen Gebete murmelt. Der Propagandachef kräht, und der Flugzeugminister grinst. Was stimmt ihn denn so besonders munter, was läßt ihn denn so aufgeräumt erscheinen? Denkt er an Hinrichtungen, gaukelt seine angeregte Phantasie ihm neue, unerhörte Methoden der Vernichtung vor? Seht, er hebt langsam den massiven Arm! Das Auge des Gewaltigen ist auf einen aus der Menge gefallen. Soll der Unglückliche gleich abgeführt, gefoltert und umgebracht werden? Im Gegenteil: ihm geschieht Gnade, und Erhöhung ist ihm zugedacht. Wer ist es denn? Ein Schauspieler? Man weiß ja, daß die großen Herren Sympathie haben für Komödianten. Er tritt bescheidenen, aber festen Schrittes nach vorne. Gebt es zu: er paßt nicht übel in diese Gesellschaft, er hat ihre falsche Würde, ihren hysterischen Elan, ihren eitlen Zynismus und die billige Dämonie. – Der Schauspieler reckt das Kinn und läßt Juwelenaugen schillern. Nun streckt der Dicke fast liebevoll die beiden Arme nach ihm aus. Der Schauspieler ist ganz nahe herangekommen an die Göttergruppe. Schon darf er sich baden in ihrem Glanze. Und mit der perfekten Anmut des höfischen Kavaliers beugt er Haupt und Knie vor dem fetten Riesen.
In Hendriks Wohnung am Reichskanzlerplatz hörte das Telephon nicht mehr auf zu läuten. Der kleine Böck saß mit einem Notizbuch neben dem Apparat, um die Namen derer aufzuschreiben, die angerufen hatten. Es waren die Direktoren der Theater und Filmgesellschaften, es waren Schauspieler, Kritiker, Schneider, Autofirmen und Autogrammsammlerinnen. Höfgen ließ sich nicht sprechen. Er lag im Bett und war hysterisch vor Glück. Der Ministerpräsident hatte ihn zu einem intimen Abendessen ins Palais gebeten: ›Es werden nur ein paar Freunde da sein‹, hatte er gesagt. Nur ein paar Freunde! Hendrik rechnete also schon zu den Vertrauten! Er zappelte und jauchzte zwischen seinen seidenen Kissen und Decken, er besprengte sich mit Parfüm, zerschmetterte eine kleine Vase, schleuderte einen Pantoffel gegen die Wand. Er jubilierte: »Es ist doch nicht zu schildern! Jetzt werde ich ganz groß! Der Dicke läßt mich ganz, ganz groß werden!«
Plötzlich machte er ein besorgtes Gesicht und rief Böck herbei. »Böckchen – hör doch mal, Böckchen!« sagte er gedehnt und warf schiefe Blicke. »Bin ich eigentlich ein sehr großer Schurke?«
Böck hatte verständnislose, wasserblaue Augen. »Wieso – ein Schurke?« fragte er. »Warum denn ein Schurke, Herr Höfgen? Sie haben doch nur Erfolg.«
»Ich habe doch nur Erfolg«, wiederholte Hendrik und schaute schillernd zur Decke. Er dehnte sich wollüstig. »Nur Erfolg … Ich werde ihn gut verwenden. Ich werde Gutes tun. Böckchen, glaubst du mir das?«
Und Böckchen glaubte es ihm. –
Dieses war Hendrik Höfgens dritter Aufstieg. Der erste war der solideste und der verdienteste gewesen; denn in der Stadt Hamburg hatte Hendrik gute Arbeit getan, das Publikum mußte ihm für manchen schönen Abend dankbar sein. – Die zweite Konjunktur, im Berlin der ›System-Zeit‹, hatte schon ein fiebrig übertriebenes Tempo und viele Zeichen des hektisch Ungesunden gehabt. – Diese dritte Konjunktur aber hatte den Charakter einer Beförderung, sie kam ›schlagartig‹, wie alle Aktionen, die von der nationalsozialistischen Regierung ausgingen. Vor kurzem war Hendrik Höfgen noch ein Emigrant gewesen; gestern noch die halbverdächtige Figur, mit der man sich nicht gern öffentlich zeigte; buchstäblich über Nacht war er zum großen Mann avanciert: ein Wink des dicken Ministers hatte dies zuwege gebracht.
Der Intendant der Staatstheater machte ihm sofort ein großes Angebot. Vielleicht tat er es nicht ganz spontan, vielleicht nicht einmal gern, sondern handelte auf höheren Befehl; jedenfalls zeigte er die biederste Miene beim fatalen Spiel, streckte dem neu engagierten Künstler beide Hände hin und sprach sächsisch vor lauter Herzlichkeit. »Prachtvoll, daß Sie jetzt ganz in unseren Kreis gehören sollen, mein lieber Höfgen. Es liegt mir daran, Ihnen zu sagen, wie sehr ich Ihre Entwicklung bewundere. Sie haben sich aus einem etwas spielerischen Menschen zu einem ganz ernsten, ganz vollwertigen entwickelt.«
Cäsar
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