Mephisto
von Muck wußte sehr wohl, warum er Entwicklungskurven von jener Art, die er gerade so euphemistisch beschrieben hatte, verständnisvoll und günstig beurteilte. Er selber hatte eine ähnliche durchgemacht; freilich lag seine ›spielerische‹ – das heißt: politisch anstößige – Vergangenheit weiter hinter ihm, als hinter Höfgen seine Sünden lagen. Ehe Cäsar von Muck zum Freund des Führers und zum literarischen Star des Nationalsozialismus aufstieg, war er schon berühmt gewesen als Autor von Dramen, die voll pazifistisch-revolutionärem Pathos waren.
Vielleicht dachte der Dramatiker, der sich von so tadelnswerter Gesinnung zu einem heroischen Weltbild und zu einem Intendantenposten durchgerungen hatte, an die literarischen Sünden seiner schwärmerischen Jugendzeit, als er jetzt von seinem besonderen Respekt für die Entwicklung des Hendrik Höfgen sprach. Mit warmem Blick fügte er noch hinzu:
»Übrigens werde ich heute abend eine Gelegenheit haben, Sie dem Herrn Propagandaminister vorzustellen. Er hat seinen Besuch im Theater angekündigt.« –
Hendrik lernte die Halbgötter kennen, und es erwies sich, daß mit ihnen ebenso wohl auszukommen war wie mit irgendeinem Oskar H. Kroge, und sogar entschieden besser als mit dem ehrfurchtgebietenden ›Professor‹. Sie sind ja gar nicht so schlimm, dachte Hendrik und fühlte sich ehrlich erleichtert.
Dieser kleine, agile Herr also war der Meister über den enormen Reklameapparat des Dritten Reiches, der Mann, der sich vor den Arbeitern ›euer alter Doktor‹ zu nennen liebte, der mit seiner Energie, seiner Rednergabe und seinen bewaffneten Banden die skeptische und aufgeweckte Stadt Berlin, die sich doch nicht so leicht etwas vormachen ließ, dem Nationalsozialismus erobert hatte. Das also war der schlaue Kopf der Partei, der sich alles ausdachte: wann es einen Fackelzug geben sollte, wann man gegen die Juden zu schimpfen hatte und wann gegen die Katholiken. Während der Intendant sächsisch sprach, redete der Minister mit einem rheinischen Akzent, wodurch Hendrik sich gleich angeheimelt fühlte. Übrigens schien der elastische Kleine, mit dem vom vielen Schwatzen gleichsam ausgefransten Mund, voll interessanter und moderner Ideen zu stecken: er sprach von ›revolutionärer Dynamik‹, dem ›mystischen Lebensgesetz der Rasse‹, und dann einfach vom Presseball, wo Höfgen etwas vortragen sollte.
Diese repräsentative Veranstaltung war die erste, bei der Hendrik sich öffentlich im Kreise der Halbgötter zeigen durfte. Er hatte die ehrenvolle Pflicht, Fräulein Lindenthal in den Saal zu geleiten, da der Ministerpräsident sich wieder einmal verspätete. Lotte trug ein wundervolles Gewand, aus Purpur- und Silberfäden gewirkt; Hendrik seinerseits sah vor Feinheit und Würde beinah leidend aus. Im Laufe des Abends wurde er nicht nur mit dem Fliegergeneral, sondern auch im Gespräche mit dem Propagandaminister photographiert: dieser hatte selbst den Wink dazu gegeben. Er zeigte sein berühmtes, unwiderstehlich charmantes Grinsen, mit dem er auch die beschenkte, die einige Monate später geopfert wurden. Das boshafte Funkeln der Augen freilich vermochte er nicht völlig zu unterdrücken. Denn er haßte Höfgen – das Geschöpf der Konkurrenz, des Ministerpräsidenten. Doch war der Propagandachef nicht der Mann, seinen Gefühlen nachzugeben und seine Handlungen von ihnen bestimmen zu lassen. Vielmehr blieb er kalt und berechnend genug, um zu denken: Wenn dieser Schauspieler schon einmal zu den kulturellen Größen des Dritten Reiches gehören soll, dann wäre es ein taktischer Fehler, dem Dicken ganz allein den Ruhm seiner Entdeckung zu überlassen. Man beißt die Zähne zusammen und stellt sich grinsend neben ihn vor die Linse.
Wie leicht alles ging! Wie glücklich sich alles fügte: Hendrik empfand, daß er ein Glückskind war. All diese große Gunst, so dachte er, sie ist mir einfach in den Schoß gefallen. Hätte ich so viel Glanz ausschlagen sollen? Niemand würde das an meiner Stelle tun – wer es von sich behauptet, den nenne ich einen Schwindler und einen Heuchler. Zu mir hätte es nicht gepaßt, in Paris als Emigrant zu leben – es hätte eben einfach nicht zu mir gepaßt! beschloß er mit einem trotzigen Übermut. Angesichts all des Trubels, in dem er sich nun wieder befand, dachte er flüchtig, aber mit intensivem Ekel an die Einsamkeit seiner trostlosen Promenaden über die Pariser Plätze und Avenuen. Gott sei gedankt – nun umgaben ihn
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