Mephisto
wieder Menschen!
Wie hieß doch dieser elegante Graukopf mit den vorquellenden blauen Augen, der da so eifrig auf ihn einredete? Richtig: es war Müller-Andreä, der berühmte Plauderer des ›Interessanten Journals‹. Ob er immer noch so viel Geld verdiente mit seiner aufschlußreichen Artikelserie: ›Hatten Sie davon eine Ahnung?‹ Nicht doch, das ›Interessante Journal‹ ist eingegangen. Herr Müller-Andreä jedoch lebt, er ist sogar obenauf, ein flottes Haus, eine fidele Nummer. Schon im Jahre 1931 hatte er ein Buch publiziert, ›Die Getreuen des Führers‹ – damals freilich unter einem Pseudonym. Inzwischen aber hat er sich zu diesem Werk bekannt, und die höchsten Stellen sind auf ihn aufmerksam geworden. Herr Müller-Andreä ist fein heraus, er braucht dem ›Interessanten Journal‹ nicht nachzutrauern, das Propagandaministerium zahlt besser, und am Propagandaministerium ist der lustige alte Herr jetzt beschäftigt. Mit Herzlichkeit schüttelt er dem Schauspieler Höfgen die Hand, so sieht man sich wieder, ja ja, die Zeiten ändern sich, aber wir beide, wir haben Glück – Herr Müller-Andreä war ja immer ein Verehrer des Schauspielers Höfgen gewesen.
Und hier, der Kleine, der mit seinem Notizbüchlein winkte wie mit einer Fahne, das war Pierre Larue – nun gab es keinen ›jeune camarade communiste‹ mehr an seiner Seite, vielmehr nur noch schmucke und stramme Burschen in der zugleich verführerischen und einschüchternden SS-Uniform. Monsieur Larue fand es auf den Festen und Empfängen der hohen Nazi-Funktionäre noch amüsanter, als er es auf den Veranstaltungen der jüdischen Bankiers gefunden hatte. Er blühte auf, so viele interessante Menschen durfte er nun kennenlernen: sehr nette Mörder, die jetzt große Stellungen ausfüllten bei der Geheimen Staatspolizei; einen Oberlehrer, der, erst unlängst aus dem Irrenhaus entlassen, jetzt schon Kultusminister war; Juristen, die das Recht für ein liberales Vorurteil, Mediziner, welche die Heilkunst für einen jüdischen Schwindel, Philosophen, welche die ›Rasse‹ für die einzig objektive Wahrheit hielten: all diese feinen Typen bat Monsieur Larue ins ›Esplanade‹ zum Abendessen. Ja, die Nazis wußten seine Gastlichkeit und sein zartes Wesen zu schätzen. Er durfte sogar auf den Botschaften ein wenig für sie intrigieren, und zum Lohne dafür ließ man ihn im Sportpalast sprechen: die Leute lachten zunächst, als das bleiche Knochenbündelchen aufs Podium trat und etwas von dem tiefen Verständnis des ›echten Frankreich für das Dritte Reich‹ zu piepsen begann; aber dann wurden sie ernster, denn ihr ›alter Doktor‹, der Propagandaminister selber, hatte zornig zur Ruhe gemahnt, und nun deklamierte Pierre Larue eine Art von amouröser Hymne an Horst Wessel, den verunglückten Zuhälter und Märtyrer des neuen Deutschland, den er als den Garanten eines ewigen Friedens zwischen den beiden großen Nationen Deutschland und Frankreich bezeichnete.
Monsieur Larue wäre dem Schauspieler Höfgen fast um den Hals gefallen, so sehr freute er sich, ihn wieder zu sehen. »Oh, oh, mon très cher ami! Enchanté, charmé de vous revoir!« Händeschütteln und das herzlichste Gelächter. Ist es nicht eine Freude zu leben in diesem Deutschland? Sieht mein neuer Liebling, in seiner kleidsamen SS-Uniform, nicht viel hübscher aus, als einer von diesen schmutzigen Kommunistenjungens es je getan hat? Bonsoir, mon cher, je suis tout à fait ravi, es lebe der Führer, noch heute abend berichte ich nach Paris, wie lustig und pazifistisch man in Berlin ist, niemand denkt an irgend etwas Böses, wie reizend Fräulein Lindenthal aussieht, da kommt ja auch Doktor Ihrig, Prost!
Neues Händeschütteln, denn Doktor Ihrig war hinzugetreten. Auch er schien trefflich gelaunt, wozu aller Anlaß bestand: seine Beziehungen zum nationalen Regime, so gespannt sie am Anfang gewesen waren, verbesserten sich jetzt von Tag zu Tag. Servus, Ihrig, wie geht's, alter Kunde! Höfgen und Ihrig lachten sich an, wie zwei Biedermänner. Nun durften sie sich wieder ungeniert in der Öffentlichkeit miteinander zeigen, sie kompromittierten sich nicht mehr gegenseitig, auch schämten sie sich nicht mehr voreinander: der Erfolg, diese sublime, unwiderlegbare Rechtfertigung jeglicher Infamie, hatte die beiden alle Scham vergessen lassen.
Strahlend und lächelnd verneigten sich alle vier – Monsieur Larue und die Herren Ihrig, Müller-Andreä und Höfgen –; denn der
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