Mephisto
dont tu te moques …‹ Aber vielleicht war sie gar kein Dämon. Am Ende lag es gar nicht in ihrer Art, über Leichen zu spazieren. Nun war sie, ganz allein und bitterlich weinend, in eine fremde Stadt abgereist – warum denn? Weil ein anderer dazu imstande gewesen wäre, über Tote zu gehen …?
»Der geht über Leichen«: auf so despektierliche Art pflegte der junge Hans Miklas sich über seinen berühmten Kollegen, den Staatsschauspieler Hendrik Höfgen zu äußern. Der renitente Knabe nahm keinerlei Rücksicht darauf, daß sein alter Todfeind unter dem besonderen Protektorat des Ministerpräsidenten und der großen Lindenthal stand. Miklas ließ sich auf das unvorsichtigste gehen: er schimpfte nicht nur über den Kollegen Höfgen, sondern auch über Herren, die noch höher gestellt waren als dieser. Wußte er denn nicht, was er riskierte mit seinen frechen, unbedachten Redereien? Oder wußte er es, scherte sich aber nicht darum? War er denn gesonnen, alles aufs Spiel zu setzen? War ihm alles egal?
Seinem Gesicht waren solche Gefühle und innere Entschlüsse dieser Art zuzutrauen. Niemals, auch nicht in der Hamburger Zeit, hatte er so böse und so schrecklich trotzig dreingeschaut wie eben jetzt. Damals waren doch noch Hoffnungen und ein großer Glaube in ihm gewesen. Jetzt hatte er gar nichts mehr. Er ging herum und sagte: »Es ist alles Scheiße.« – »Wir sind betrogen worden«, sagte er. »Der Führer wollte die Macht, sonst gar nichts. Was hat sich denn in Deutschland gebessert, seitdem er sie hat? Die reichen Leute sind nur noch ärger geworden. Jetzt reden sie patriotischen Quatsch, während sie ihre Geschäfte machen – das ist der einzige Unterschied. Die Intriganten sind immer noch obenauf.« Miklas dachte an Höfgen. »Ein anständiger Deutscher kann verrecken, ohne daß sich jemand drum kümmert«, behauptete er in seinem großen und leidvollen Zorn. »Den Bonzen aber – denen geht es besser als je. Schaut euch doch den Dicken an, wie der herumfährt in seinen goldenen Uniformen und in seiner Luxuslimousine! Und der Führer selber ist auch nicht besser – das haben wir jetzt erfahren! Könnte er denn sonst all das dulden? Die furchtbar vielen Ungerechtigkeiten? – Unsereiner hat für die Bewegung gekämpft, als sie noch gar nichts war, und jetzt will man uns links liegen lassen. Ein alter Kulturbolschewist aber, wie der Höfgen, der ist wieder die große Nummer …«
So zügellose und verwerfliche Reden führte der junge Miklas, jeder konnte sie hören. Kein Wunder, daß die Mitglieder des Staatstheaters anfingen ihn zu meiden. Der Intendant ließ ihn einmal zu sich kommen und verwarnte ihn. »Ich weiß es, Sie sind seit Jahren in der Partei«, sprach Cäsar von Muck. »Gerade deshalb sollten Sie Disziplin gelernt haben, und wir müssen besonders hohe Anforderungen an Ihre politische Vernunft stellen.« Miklas machte sein bockiges Gesicht. Er senkte die trotzige Stirn, schob die Lippen vor, die ein ungesundes, viel zu rotes Leuchten hatten, und sagte mit leiser, heiserer Stimme: »Ich werde aus der Partei austreten.« – Wollte er es bis aufs Äußerste treiben?
Während Muck dem jungen Schauspieler empört den Rücken drehte, bekam Miklas einen Hustenanfall. Der Husten schüttelte seinen mageren Körper, dem er seit Jahren zuviel zugemutet hatte. Hustend verließ er das Bureau des Intendanten. Sein Gesicht war grau, mit schwarzen Löchern unterhalb der Backenknochen. Zwischen grau-schwarzen Schatten hatten die Augen ein helles und böses Licht. – Zornig, aber nicht ohne Erstaunen, auch nicht ganz ohne Mitleid, schaute der Intendant dem jungen Menschen nach. Der ist verloren! dachte Cäsar von Muck.
Du bist verloren, armer junger Hans Miklas! Nach so viel Anstrengungen, so viel verschwendetem Glauben: Was bleibt dir nun? Nur noch Haß, nur noch Traurigkeit, und die wilde Lust, den eigenen Untergang zu beschleunigen. Ach, er kommt von allein schnell genug, er wenigstens ist dir sicher, du wirst nicht mehr lange hassen, nicht mehr lange trauern müssen. Du wagst es, dich gegen Mächte und Personen aufzulehnen, von denen du immer sehnlich gewünscht hast, sie möchten herrschen. Aber du bist schwach, junger Miklas, und du hast keinen Beschützer.
Die Macht, die du geliebt hast, ist grausam. Sie duldet keine Kritik, und wer sich auflehnt, der wird zerschmettert. – Du wirst zerschmettert, Knabe, von den Göttern, zu denen du so innig gebetet hast. Du stürzest hin, aus einer kleinen
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