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Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Mann
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Ich bewundere ihn grenzenlos, weil ich die öde Tyrannei der Vernunft und den spießbürgerlichen Fetisch-Begriff des Fortschritts grenzenlos hasse. Alle Dichter, die solchen Namen verdienen, sind die geborenen und verschworenen Feinde des Fortschritts. Das Dichten selbst ist ja Rückfall in heilig-frühe, vor-zivilisierte Zustände der Menschheit. Dichten und Töten, Blut und Lied, Mord und Hymne: das paßt zueinander. Alles paßt zueinander, was über die Zivilisation hinaus und tief hinunterreicht in die geheime, gefahrenreiche Schicht. – Ja, ich liebe die Katastrophe«, sagt Pelz, wobei er sein Antlitz mit den melancholisch hängenden Wangen nach vorne neigte und lächelte, als schmeckten seine dicken Lippen Süßigkeit oder Küsse. »Ich bin begierig auf die tödlichen Abenteuer, auf den Abgrund, auf das Erlebnis der extremen Situation, die den Menschen außerhalb der zivilisatorischen Bindungen stellt, in jene Gegend, wo keine Versicherungsgesellschaft, keine Polizei, kein komfortables Lazarett ihn mehr schützen vor dem unbarmherzigen Zugriff der Elemente und eines raubtierhaften Feindes. Wir werden dies alles erleben, verlassen Sie sich darauf, wir werden Schauerliches genießen, mir kann es gar nicht schaurig genug sein. Man ist noch immer zu zahm – unser großer Führer darf wohl noch nicht ganz so, wie er möchte. Wo bleiben die öffentlichen Folterungen? Die Verbrennungen der humanitären Schwätzer und der rationalistischen Flachköpfe?« Hierbei klopfte Pelz ungeduldig mit einem kleinen Löffel gegen die Kaffeetasse, als riefe er den Kellner, der ihn auf ein Autodafé gar zu lange warten ließe. »Warum immer noch diese nicht mehr angebrachte Diskretion, diese falsche Scham, die das schöne Fest der Marterungen hinter den Mauern der Konzentrationslager versteckt?« fragte er streng. »Und verbrannt hat man, meines Wissens, bis jetzt nur Bücher, das ist doch nichts. – Aber unser Führer wird uns schon noch anderes liefern, ich verlasse mich fest auf ihn. Feuerscheine am Horizont, Blutbäche auf allen Wegen, und ein besessenes Tanzen der Überlebenden, der noch Verschonten um die Leichen!« Der Poet wurde von einer fröhlichen Zuversichtlichkeit ergriffen, was die Schrecknisse der nächsten Zukunft betraf. Mit gewählter Höflichkeit, die Hände in frommer Haltung auf der Brust gefaltet, versicherte er Hendrik: »Und Sie, mein lieber Herr Höfgen, Sie werden zu denen gehören, die am zierlichsten über Kadaver hüpfen. Sie haben das Gesicht dazu, ich sehe es Ihnen an. Sie sind ein sehr anmutiger Sohn der Unterwelt, es ist kein Zufall, daß der Herr Ministerpräsident Sie auszeichnet. Sie besitzen den echten, produktiven Zynismus des radikalen Genies. Ich schätze Sie außerordentlich, mein sehr lieber Herr Höfgen.«
    Dergleichen wunderliche und fragwürdige Komplimente hörte Hendrik sich an, aasig lächelnd und mit rätselhaft schillernden Augen. – Nicht jedermann hatte so tiefe und raffinierte Gründe wie der Dichter Pelz für seine neuentdeckte Liebe zum Nationalsozialismus. Andere erklärten schlicht: »Ich bin und bleibe ein deutscher Künstler und ein deutscher Patriot, wer immer auch in meinem Vaterland regieren möge. Mir gefällt es in Berlin besser als irgendwo sonst auf der Welt, und ich habe nicht die geringste Lust dazu, abzureisen. Übrigens würde ich nirgends annähernd so viel Geld verdienen wie hier.«
    Es war der dicke Charakterspieler Joachim, der sich abends am Biertisch also vernehmen ließ. Bei dem wußte man wenigstens, woran man war. Er wäre emigriert und ein temperamentvoller Antifaschist geworden, hätte man ihm nur ein fettes Angebot aus Hollywood gemacht. Dieses Angebot indessen blieb leider aus: Joachim, der zu den berühmtesten deutschen Schauspielern gehört hatte, war nicht mehr ganz auf der Höhe. Deshalb erklärte er nun mit der Miene des Biedermanns im Kreis der Kollegen: »Wo gibt es denn noch ein so gutes Bier wie hier, in unserem altdeutschen Keller. Kann mir das vielleicht jemand sagen?« Er schaute herausfordernd und etwas tückisch um sich. Sein großes, ausdrucksvolles Gesicht mit den schwammigen Backen und den kleinen mißtrauischen Augen hatte die trügerische Gutmütigkeit des Bären, der so drollig und ungeschlacht scheint, jedoch von allen Raubtieren das grausamste ist. Schmeichler versicherten dem Charakterspieler Joachim, er habe eine entschiedene Ähnlichkeit mit dem Herrn Ministerpräsidenten. Dann schmunzelte der Mime. Hingegen wurde er

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