Mephisto
verlassen. Der große Mann hält über ihn seine breite, schützende Hand. Er betrachtet Höfgen-Mephistopheles als eine Art von Hofnarren und brillanten Schalk, als ein drolliges Spielzeug. Längst ist dem Schauspieler seine verdächtige Vergangenheit als Künstlertorheit verziehen. Die Negerin mit der Peitsche ist ihm vom Halse geschafft. Höfgen darf viele und schöne Rollen spielen. Er darf filmen und verdient schweres Geld. Der Ministerpräsident empfängt ihn häufig. Fast so unbefangen wie früher in das Büro des Direktors Schmitz oder des Fräulein Bernhard tritt der Komödiant nun in die Amtsräume oder in die Privatgemächer des Generals. »Denn dir die Grillen zu verjagen/ bin ich als edler Junker hier« –: begrüßt Hendrik mit keckem Faust-Zitat den Gewaltigen. Nach all seinen blutigen und glanzvollen Geschäften weiß der Mächtige sich keine nettere Erholung, als mit dem Schalksnarren zu tändeln. Fräulein Lindenthal hätte beinah Anlaß zur Eifersucht. Aber sie ist ja gutmütig, und übrigens hat sie ihrerseits eine Schwäche für Hendrik Höfgen. Was für ein Ansehen, welchen Nimbus verschafft diesem in weiten Kreisen seine allgemein bekannte, überall besprochene Freundschaft mit dem gefürchteten Dicken!
»Bewundrung von Kindern und Affen,
wenn Euch danach der Gaumen steht …«
Hieran muß Hendrik zuweilen denken angesichts der Schmeicheleien, der devoten Liebenswürdigkeiten, mit denen die Kollegen und die Dichter, die Damen der neuen ›Gesellschaft‹ und sogar Politiker ihn nun traktieren. Steht ihm der Gaumen wirklich nach dem zuckersüßen Gelispel des deutschen Nationalisten Monsieur Pierre Larue? Ergötzt er sich wahrhaftig an den literarisch pointierten Komplimenten des Doktor Ihrig, an den weltmännischen Artigkeiten des Herrn Müller-Andreä? Otto Ulrichs, dem alten Freund, gegenüber äußert er sich verächtlich über die ›ganze verfluchte Bande‹. Aber schmecken sie ihm nicht doch süß, all die Ergebenheitsbeteuerungen, die gehäuften Aufmerksamkeiten? Mundet nicht doch der Champagner am Tische Pierre Larues im Hotel Esplanade, geschlürft im schönen Kreis dekorativer SS-Jünglinge? –
Hendrik hatte zahlreiche Freunde, es gab possierliche Figuren unter ihnen. Der Dichter Pelz zum Beispiel, für dessen höchst anspruchsvolle, schwer begreifbare, auf dunkle Art hinreißende Lyrik junge Menschen, die nun größtenteils in der Verbannung saßen, sich bis zur Verzückung begeistert hatten – Benjamin Pelz, ein kleiner gedrungener Mann mit sanften, blauen und kalten Augen, hängenden Wangen und einem dicken, grausam lüsternen Mund, erklärte in intimer Unterhaltung, daß er den Nationalsozialismus liebe, weil dieser eine Zivilisation, deren mechanische Ordnung unerträglich geworden sei, ganz und gar vernichten werde, weil er zum Abgrund führe, den Geruch des Todes habe und unermeßliche Schmerzen ausschütten werde über den Erdteil, der im Begriff gewesen sei, halb zur tadellos organisierten Fabrik, halb zum Sanatorium für Schwächlinge zu entarten. »Das Leben in den Demokratien war ungefährlich geworden«, sprach tadelnd der Dichter Pelz. »Unserem Dasein kam das heroische Pathos mehr und mehr abhanden. Das Schauspiel, dem wir heute beiwohnen dürfen, ist das der Geburt eines neuen Menschentyps – oder vielmehr: das der Wiedergeburt eines sehr alten, archaisch-magisch-kriegerischen. Welch atemberaubend schönes Schauspiel! Was für ein erregender Prozeß! Seien Sie stolz darauf, lieber Höfgen, daß Sie aktiv an ihm teilhaben dürfen!« Dabei betrachtete er Hendrik liebevoll aus seinen sanften, eisigen Augen. »Das Leben bekommt wieder Rhythmus und Reiz, es erwacht aus seiner Erstarrung, bald wird es wieder, wie in schönen, versunkenen Epochen, die heftige Bewegtheit des Tanzes haben. Für Menschen, die nicht zu sehen und nicht zu hören verstehen, könnte der neue Rhythmus wie das einexerzierte Tempo des Marschierens wirken. Dummköpfe lassen sich täuschen durch die äußere Straffheit des militant-archaischen Lebensstils. Welch grober Irrtum! In Wahrheit wird jetzt nicht marschiert, sondern getaumelt. Unser geliebter Führer reißt uns in die Dunkelheit und ins Nichts. Wie sollten wir Dichter, die wir unsere besonderen Beziehungen zur Dunkelheit und zum Abgrund haben, ihn dafür nicht bewundern? Es ist wahrhaftig nicht übertrieben, unseren Führer göttlich zu nennen. Er ist die unterweltliche Gottheit, die allen magisch-eingeweihten Völkern die heiligste war.
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