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Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Mann
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die haben sogar das Geld schon geschickt.« – Barbara verbrachte ihren halben Tag damit, Mahnbriefe an die Buchhandlungen und Vertriebszentralen in Sofia oder Kopenhagen, Tokio oder Budapest zu schreiben, wegen der kleinen Summen, die man ihr schuldig blieb. Zwischen Barbara und Hedda von Herzfeld hatte sich ein Verhältnis herausgebildet, das nicht ganz Freundschaft war, aber doch etwas mehr als nur die sachliche Beziehung zwischen zwei Menschen, die miteinander arbeiten. Barbara empfand Achtung vor Frau von Herzfeld; denn diese zeigte Energie und Tapferkeit. Sie war sehr allein, sie hatte nur ihre Arbeit. An der kleinen Revue, die sie mit Sebastian redigierte, hing sie wie die Mutter am Kind. Als das Heft zum ersten Mal gedruckt und in der besseren Ausstattung vorlag, weinte Hedda beinahe vor Freude. Sie umarmte Barbara und sagte ihr – ganz leise ins Ohr, obwohl kein Dritter im Zimmer war –, wie dankbar sie ihr für alles sei. Barbara schaute lange in Frau von Herzfelds großes, weiches, flaumig gepudertes Gesicht und stellte fest: es hatte schärfere und tiefere Züge bekommen. Sie ließen auf innere Kämpfe schließen, auf seelische Vorgänge von heftiger und bitterer Art, denen Hedda ausgesetzt gewesen war in diesem Jahr, das man gemeinsam überstanden hatte. In den ersten Wochen der Emigration hatte sie einmal den Mann getroffen, mit dem sie vor vielen Jahren verheiratet gewesen war. Vielleicht hatte sie auf diese Begegnung Hoffnungen gesetzt. Es stellte sich heraus, daß der Mann in Moskau mit einem Mädchen zusammenlebte. Nichts konnte selbstverständlicher sein als dies. Hedda war vernünftig genug, es einzusehen. Trotzdem wurde sie von der Mitteilung wie von etwas Unerwartetem getroffen und in Hoffnungen, die sie sich kaum noch eingestanden hatte, enttäuscht.
    Dachte sie noch zuweilen an Hendrik? Einmal, nur ein einziges Mal, erwähnte sie Barbara gegenüber seinen Namen. »Ob es ihm gut geht?« fragte sie leise – es war spät in der Nacht, man hatte lange zusammen gearbeitet. »Ob der Betrieb ihm Spaß macht? Ob er zufrieden ist mit seinem neuen Ruhm?« – »Von wem sprichst du?« fragte Barbara zurück, ohne aufzuschauen. Frau von Herzfeld wurde ein wenig rot, während sie ironisch zu lächeln versuchte: »Nun, von wem denn wohl? Von deinem geschiedenen Herrn Gemahl …« Barbara sagte trocken: »Lebt der noch? Ich wußte gar nicht, daß es ihn noch gibt. Für mich ist er lange tot. Ich liebe nicht die Gespenster der Vergangenheit, am wenigsten so dubiose Gespenster wie dieses.« – Seitdem sprachen sie nie mehr von ihm. –
    Manchmal besuchte Barbara ihren Vater, der ganz allein in einer südfranzösischen Stadt am Mittelmeer wohnte. Er hatte Deutschland sofort nach dem Reichstagsbrand verlassen – zur Wut und zur Enttäuschung einer Horde von nationalsozialistischen Studenten, die sein Haus leer fanden, als sie anrückten, um dem ›roten Geheimrat‹ mal zu zeigen, was ›die wahre deutsche Jugend‹ von ihm dachte. Die wahre deutsche Jugend war dazu entschlossen, den weltberühmten alten Herrn durchzuprügeln, ihn dann in ein Auto zu packen und im nächsten Konzentrationslager abzuliefern. Die Bande tobte, weil sie in der Villa nur eine zitternde Haushälterin fanden. Um doch etwas für die nationale Sache zu leisten und der nächtlichen Spazierfahrt einen gewissen Sinn zu geben, beutelte man die arme alte Frau ein wenig und sperrte sie in den Keller, während man sich oben in der Bibliothek vergnügte. Die wahre deutsche Jugend trampelte auf den Werken Goethes und Kants, Voltaires und Schopenhauers, Shakespeares und Nietzsches herum. Das ist alles Marxismus, stellten die Uniformierten angewidert fest. Als die Schriften Lenins und Freuds ins Kaminfeuer fielen, führten sie einen Freudentanz auf. Auf der Rückfahrt konnten die jungen Menschen konstatieren, daß sie schließlich doch ein paar ganz nette Abendstunden im Hause des Geheimrats zugebracht hatten. »Und wenn das alte Schwein gar noch selber dagewesen wäre«, riefen die fröhlichen Burschen, »das hätte erst eine Hetz gegeben!«
    Der Geheimrat hatte in seinen Koffern die wichtigsten Papiere und einen geringen, aber ihm besonders lieben Teil seiner Bücherei mit sich nehmen können. Nachdem er einige Wochen auf Reisen, in der Schweiz und in der Tschechoslowakei zugebracht hatte, ließ er sich in Südfrankreich nieder. Er mietete sich ein kleines Haus, im Garten gab es ein paar Palmen und schöne Blütenbüsche, und man hatte den

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