Mephisto
mehr aus.« –
Über die Länder verstreut, in vielen Städten lebten die Menschen, die Hendrik seine Freunde genannt hatte. Einigen von ihnen ging es gut, der ›Professor‹ zum Beispiel hatte nicht zu klagen, ein Weltruhm wie der seine verbraucht sich nicht, er konnte wohl damit rechnen, daß er bis zu seinem Lebensende in Schlössern mit Barockmöbeln und Gobelins oder in den fürstlichen Appartements der ersten internationalen Hotels wohnen würde. Man wollte ihn in Berlin nicht mehr inszenieren lassen, weil er Jude war? Gut – oder vielleicht: um so schlimmer für die Berliner. Der Professor bewegte die Zunge majestätisch in seinen Backen, knarrte und knurrte ein paar Tage lang verärgert, und fand schließlich, er habe ohnedies in letzter Zeit etwas reichlich zu tun gehabt, mochten die Berliner sich also ihr Theater allein machen, sollte doch ›dieser Höfgen‹ seinem ›Führer‹ Komödie vorspielen – er, der Professor, hatte während dieser Saison noch eine große Operette in Paris, zwei Shakespearische Lustspiele in Rom und Venedig und eine Art von religiöser Revue in London zu inszenieren. Außerdem gab es eine Tournee mit ›Kabale und Liebe‹ und der ›Fledermaus‹ durch Holland und Skandinavien zu erledigen, und im Frühling mußte er in Hollywood sein, denn er hatte einen großen Filmvertrag unterschrieben.
Seine beiden Theater in Wien verwalteten Fräulein Bernhard und Herr Katz: um diese beiden brauchte man sich keine Sorgen zu machen. Manchmal dachte Herr Katz mit Wehmut an die lustigen Zeiten, als er die Berliner mit seinem abgründigen Drama ›Die Schuld‹ hereingelegt und sich als den spanischen Nervenarzt ausgegeben hatte. »Das sind doch noch Scherze von Format gewesen!« sagte er und spielte mit der Zunge im Mund, fast genau so majestätisch wie sein Herr und Meister. Jetzt war nichts mehr mit der Dostojewskij-Seele anzufangen, und Herr Katz war endgültig verbannt in die niedrige geschäftliche Sphäre. – Wehmütig wurde auch Fräulein Bernhard, wenn sie an den Kurfürstendamm, besonders aber, wenn sie an Höfgen dachte. »Was für herrlich böse Augen er hat!« erinnerte sie sich träumerisch. »Meinen Hendrik – den gönne ich den Nazis am allerwenigsten, so was Schönes verdienen die wirklich nicht.« Übrigens ließ sie sich jetzt von einem jungen Wiener Bonvivant, der zwar nicht so dämonisch war wie Höfgen, dafür aber galanter und anspruchsloser als dieser, ›Rose‹ nennen und am Kinn kraulen. –
Einen zweiten Aufstieg, einen neuen Triumph, der alle ihre Berliner Erfolge übertraf und in den Schatten stellte, erlebte Dora Martin in London und New York. Sie hatte Englisch gelernt mit dem Eifer eines ehrgeizigen Schulkindes oder eines Abenteurers, welcher sich ein fremdes Land erobern will. Nun konnte sie sich, in der neuen Sprache, alle jene eigenwilligen Extravaganzen leisten, mit denen sie früher Berlin bezaubert und überrascht hatte. Sie zerdehnte die Vokale, sie girrte, klagte, kicherte, jubelte, sang. Sie war scheu und ungelenk wie ein dreizehnjähriger Junge, schwerelos und federleicht wie eine Elfe. Sie schien nachlässig und kapriziös zu improvisieren; in Wahrheit berechnete ihre große Intelligenz jede der Nuancen der kleinen, aber sorgfältig verteilten Effekte, mit denen sie ihr gebanntes Publikum zum Lächeln oder zum Schluchzen brachte. Sie war schlau, sie wußte, was die Angelsachsen lieben. Mit genauer Absicht war sie um eine Note sentimentaler, um eine Spur weiblicher und sanfter geworden, als sie es in Deutschland gewesen war. Sie erlaubte sich nun seltener die rauhen und heiseren Töne; dafür rührte sie häufiger mit dem unschuldig kindlichen, hilflosen, weit geöffneten Blick. »Ich habe meinen Typ ein ganz klein bißchen verändert«, stellte sie fest, wobei sie den Kopf kokett zwischen die Schultern steckte. »Nur gerade so viel, wie es nötig war, damit ich den Engländern und Amerikanern gefalle.« Sie reiste zwischen London und New York hin und her, in jeder der beiden Städte spielte sie dasselbe Stück Hunderte von Malen hintereinander. Tags filmte sie. Es war erstaunlich, was sie physisch leistete und aushielt. Ihr schmaler, kindlicher Körper schien unermüdlich, als wäre er besessen von einer dämonischen Kraft. Die amerikanischen und englischen Zeitungen priesen sie als die größte Bühnenkünstlerin der Erde. Wenn sie nach der Vorstellung für eine Viertelstunde im Hotel Savoy erschien, schmetterte die Kapelle einen
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