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Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Mann
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Blick aufs Meer.
    Der alte Herr ging sehr selten aus, und er war meistens allein. Stundenlang wandelte er in seinem Gärtchen auf und ab, oder er saß vor dem Haus und konnte sich nicht satt sehen an den unendlich wechselnden Farben des Meeres. »Es ist ein so großer Trost für mich«, sagte er zu Barbara, seiner Tochter, »es tut mir so gut, dieses schöne Wasser vor mir zu haben. In all der Zeit, die ich nicht hier gewesen bin, hatte ich ganz vergessen, wie blau es sein kann: das Mittelmeer … Alle Deutschen, die den Namen verdienen, hatten Sehnsucht nach ihm, und sie haben es alle verehrt als die heilige Wiege unserer Gesittung. Nun plötzlich soll es gehaßt werden in unserem Lande. Die Deutschen wollen sich gewaltsam lösen von seiner sanften Macht und von seiner starken Gnade; sie glauben, seine schöne Klarheit entbehren zu können; sie schreien, daß sie ihrer überdrüssig sind. Aber das ist ja ihre eigene Gesittung, derer sie da überdrüssig zu sein behaupten. Wollen sie all das Große verleugnen, was sie selber der Welt geschenkt haben? Es scheint beinahe so … Ach, diese Deutschen! Wie viel werden sie noch leiden müssen, und wie schrecklich viel werden sie die anderen leiden machen!« –
    Das nationalsozialistische Regime hatte das Haus und das Vermögen des Geheimrats beschlagnahmt; es erklärte ihn seiner Staatsbürgerschaft für verlustig. Bruckner erfuhr es durch eine Notiz in der französischen Presse, daß er ›ausgebürgert‹ und kein Deutscher mehr sei. Einige Tage, nachdem er diese Mitteilung gelesen hatte, begann er wieder zu arbeiten. ›Es soll ein großes Buch werden‹, schrieb er an Barbara, ›und es wird ,Die Deutschen‘ heißen. In ihm werde ich alles zusammenfassen, was ich über sie weiß, was ich für sie befürchte, was ich für sie hoffe. Und ich weiß viel über sie, ich befürchte viel für sie, und ich hoffe, immer noch, viel für sie.‹ Leidend und sinnend verbrachte er seine Tage an einer fremden und geliebten Küste. Manchmal vergingen Wochen, ohne daß er ein Wort sprach, außer einigen französischen Phrasen mit dem Mädchen, das sein Haus besorgte. Er empfing viele Briefe. Menschen, die früher seine Schüler gewesen waren und nun in der Emigration oder verzweifelt in Deutschland saßen, wandten sich an ihn um Zuspruch und geistigen Rat. ›Ihr Name bleibt für uns der Inbegriff eines anderen, besseren Deutschlands‹, wagte jemand aus einer bayrischen Provinzstadt ihm zu schreiben – freilich mit verstellter Schrift und ohne daß er seine Adresse verraten hätte. Solche Geständnisse und Treueschwüre las der Geheimrat halb mit Rührung, halb mit Bitterkeit. Und alle diese, die so empfinden und schreiben, haben mitgeduldet, mitverschuldet, daß unser Land zu dem werden konnte, was es heute ist, mußte er denken. Er legte die Briefe beiseite, und er öffnete wieder sein Manuskript, das langsam wuchs und reich ward an Liebe und an Erkenntnis, an Gram und Trotz, an tiefem Zweifel und einer noch hinter tausend Vorbehalten starken Zuversicht. –
    Bruckner wußte, daß in einer anderen südfranzösischen kleinen Stadt, die von dem Orte seines Aufenthalts noch keine fünfzig Kilometer entfernt war, Theophil Marder mit Nicoletta wohnte. Die beiden Männer hatten sich einmal auf einem Spaziergang getroffen und begrüßt, es war aber zu keiner Verabredung und zu keinem Wiedersehen zwischen ihnen gekommen. Marder war ebenso wenig wie Bruckner gestimmt zum Gespräch und zur Geselligkeit. Dem Satiriker war die aufgeräumte, aggressive Schnoddrigkeit vergangen. Ihn hatte das Entsetzen über die deutsche Katastrophe verstummen lassen. Wie Bruckner saß er stundenlang in einem Gärtchen, wo es Palmen und blühende Gebüsche gab, und starrte aufs Meer. Aber Marders Augen hatten nicht den stillen, sinnenden Blick; sie waren unruhig, sie flackerten, sie irrten ratlos und trostlos über die schimmernd ausgebreitete Fläche. Seine bläulich gefärbten Lippen hatten ihre saugende und schmatzende Beweglichkeit behalten; nur bildeten sie jetzt keine Worte mehr, sondern lautlose Klagen.
    Theophil, der den Kopf so aufrecht getragen hatte, saß nun in sich zusammengesunken. Die bleifarbenen Hände lagen ihm auf den mageren Knien und sahen so müde aus, als ob er sie niemals mehr würde rühren können. Er kauerte regungslos, nur seine Augen irrten, und seine Lippen führten ihre jammervolle stumme Sprache. Manchmal zuckte er zusammen, als hätte ein gar zu grauenhaftes Gesicht ihn

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